Kämpfte manches Mal mit Gott

Dichterphilosoph Ladislav Klima: Fröhlicher Anarchist, ewiger Pubertierender  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Wo Literatur und Leben seltsam zusammenfließen, der Philosoph sich trotzig zum Experimentierfeld seiner Philosophie macht, der Dichter zum Held seiner Dichtung wird, da wird es oft so ernst und existentiell, daß alles ins Tragisch-Lächerliche kippt und das haltlose Leben sich im jubelnden Mißlingen gefällt. Über den tschechischen Dichterphilosophen Ladislav Klima (1878 bis 1928) ließe sich mit Franz Kafka sagen: „Er jagte mit rasender Schnelligkeit sein Leben durch, und dann sagte er: ,Konsequent, konsequent.‘“

Der Dichter, der übrigens auch in Prag lebte (ohne jedoch Kafkas Wege zu kreuzen), könnte als vergessener Vorläufer der Surrealisten gelten, als versprengter Dichter und Denker des Absurden, später Kyniker, unzeitgemäßer Mystiker, der – „konsequent, konsequent“ – die Probe auf's Exempel unternahm; als von Wahnideen besessener Literat, der ein paar tausend Seiten schwankenden Niveaus verfaßt hat oder als lebenslang pubertierender Poseur, der sich den lebenspraktischen Erfordernissen verweigerte, um rettungslos den eigenen Selbststilisierungen, von denen seine autobiographischen Aufzeichnungen beredtes Zeugnis geben, zu verfallen. So wie einer seiner großartigsten Helden, der etwas idiotische Fürst Sternenhoch, sich vor seiner gespenstischen Ehefrau schützt, entzieht sich das Werk des vergessenen Dichters bislang erfolgreich den Kategorien der Literaturwissenschaft: „Hier sind die Fenster vergittert. In aller Eile wurden überall Doppeltüren angebracht. Ich besitze auch Handgranaten.“ Das Wissen über Klima ist spärlich. Die Schilderung seines Lebens muß sich größtenteils auf seine schmale Autobiographie von 1924 stützen.

Klima wurde 1878 in Domazlice (Taus) geboren; der Vater war Beamter, über die Mutter ist nichts bekannt; zwei Brüder und zwei Schwestern starben früh. Schon früh entwickelt er einen ausgesprochenen Haß nicht nur auf seine Familie – „jede Liebkosung, jede Berührung weckte in mir einen Brechreiz, insbesondere gegen Männer hatte ich eine ausgesprochene Idiosynkrasie“ –, sondern gleich gegen die gesamte Menschheit. Nicht ohne Stolz berichtet er von den Maßnahmen, die er als „äußerlich blöde, lächerlich und verschämt“ wirkender Outsider gegen seinen Gegner, den er für ein „Nichts“ hielt, ergriff: „Ich stahl des Stehlens wegen, machte mir zum Sport, nachts am Stadtrand von Domazlice die Fenster einzuschlagen, Steine auf Eisenbahnschienen zu legen, Getreidegarben anzuzünden.“

Schicksalsschläge verstärken die Außenseiterrolle des Pubertierenden: 1894 sterben in rascher Folge Mutter, Großmutter, Tante und eine Schwester. Der 15jährige Überlebende reagiert nach außen und innen mit verzweifelten Rebellionen: „Ich schändete systematisch alle Kreuze in der Umgebung der Stadt, machte Skandale in den Kirchen, streute mangels Bomben anarchistische Flugblätter usw.“ An einem „schicksalhaften Nachmittag“ bedrängen ihn zum ersten Mal „Gedankenkrämpfe“, die ihn zwingen, „das Undenkbare“ zu denken. Periodisch auftretende „Erstickungsanfälle“, „Schreckensvisionen“ und Allmachtsphantasien begleiten ihn seitdem und werden erst sehr viel später ihre Bedrohlichkeit verlieren. Wegen Majestätsbeleidigung wurde Klima ein paar Monate später der Schule verwiesen und von jedwedem Studium im zisleithanischen Teil der Donaumonarchie ausgeschlossen. Ein halbes Jahr noch erlebt er den „schulischen Schweinkram“ in einem Zagreber Gymnasium; dann entschließt er sich, nie mehr eine Schule zu betreten und „keinen Beruf je auszuüben“. Fortan widmet er sein Leben dem autodidaktischen Studium der Philosophie. Vor allem Berkeley, Nietzsche und Schopenhauer begeistern ihn. Ausgehend von Schopenhauer entwickelt er in einer ersten, 1904 anonym herausgegebenen Schrift, eine recht frühe Philosophie des Absurden, an deren Ende die Welt als bloße Erscheinung steht, die mit keinem Recht mehr vom Traum unterschieden werden kann. Übrig blieb das Ich, das sich von nun an in dezidiert asozialen Selbstentfaltungsveranstaltungen und narzißtischen „Selbstumarmungen“ ergeht. Seine Lieblingsbeschäftigungen in menschenscheuen Einsamkeiten wechselnder Orte bilden „endlose Spaziergänge im Forst, Suche nach Nymphen und halluzinativen Schlössern, nächtliches Wälzen in Moos und Schnee und schreckliche Kämpfe mit GOTT (...) In Tirol errang ich vorläufige (...) Siege auf der ganzen Linie; – auch weil ich dort zu rauchen begann. Ohne ein solches wäre ich heute nicht mehr am Leben.“

Gefährlich, doch auch voller Lustbarkeiten ist die wilde Fahrt des Willens (sein Lieblingsausdruck) zum „sich als Geist wissenden Geist“ (Hegel), zum großgeschriebenen „ICH“, zum absoluten, von allem losgelösten Geist, „zum Ziel der Ziele, der ewig ruhenden, unverletzlichen FREUDE und GLORIE“. Im Verlauf der Reise drohen jedoch Wahnsinn und Freitod: „Das Ziel, scheinbar so nahe, nur danach zu greifen (...) blieb unerreicht; dafür war ich damals, physisch vor allem, am tiefsten Punkt. Gerettet hat mich der Alkohol; Rum und unverdünnter Spiritus; bis heute bin ich meinem Retter treu geblieben.“ So entscheidet sich Klima für „eine provisorische Rückkehr zum Menschlichen“. Er ändert sein solipsistisches Modell des „absolut kommandierenden Willens“ in eine Philosophie des „göttlichen“, allen Widersprüchen offenstehenden „Spiels“, die er mit dem lustigen Titel „Ludibrionismus“ versieht. Und er verwandelt sich: „Wünsche (...) habe ich fast keine mehr (...) Ich bin – und bin es auch bei meinem jetzigen hochgradigen Alkoholismus – zu einer Maschine geworden“, schreibt er vier Jahre vor seinem Tod und behauptet noch stolz, er sei „einer der gesündesten Menschen in ganz Austria“. Die Maschine ist unter anderem durch Spiritus, „rohes Mehl“, rohes Gemüse, Zitronen, „rohes Pferdefleisch“, und „tote Mäuse“ am Laufen gehalten worden.

Klima verachtete „die praktischen Schweinereien“ des Lebens. Zehn Jahre lang lebte er vom Nachlaß seiner Mutter, dem Erbe seines Vaters, später vom Geld seiner Freunde und sporadischen Gelegenheitsarbeiten: „Im November Verwalter in einer kleinen, völlig verlassenen Fabrik. Meine Arbeit beschränkte sich auf dauerndes Trinken. (...) Überhaupt waren alle meine bisherigen Beschäftigungen eine reine Farce.“ Seine Schriften, von denen nur ein kleiner Teil zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde, nimmt er nicht aus. Gleichgültig verlor er das meiste oder warf es weg. Nur lästigen Bewunderern gelang es, wie Milan Napravnik in der Literaturzeitschrift akzente schrieb, ihm „die schmutzigen, mit Bleistift beschriebenen Papierfetzen zu entreißen, die er in den Taschen seines Landstreichermantels trug und auf die er teils tschechisch, teils deutsch wahllos, aber leidenschaftlich Texte, Gedanken, Gedankenfetzen schrieb; Satzbündel, die sich oft im Wirrwarr befremdlicher und schwer zu enträtselnder Initialen und Abkürzungen verlieren. Der Rest ist gestohlen, vernichtet oder einfach in Winkeln kleiner vernachlässigter Hotels, in denen er zu leben pflegte, vergessen.“

Ein zwischen Größenwahnsinn, Selbst- und Weltverachtung hin- und herpendelnder Verschwendungsgestus durchzieht das Werk des schwarzen Dichters. Traum und Wachen, Leben und Tod, Himmel und Hölle, Zeit und Ewig

Fortsetzung Seite 16

Fortsetzung

keit, Allmachts- und Unterwerfungsphantasien und ausufernde Gewalttätigkeiten verwischen sich angsterregend in seltsamen Gespenstergeschichten und grotesken Romanen, deren philosophische Ausflüge immer wieder von höhnischer Albernheit unterbrochen werden. Beim süchtigen Lesen hat man das Gefühl, irgendwo zwischen Sade und Sacher-Masoch, Gombrowicz und „Dick & Doof“ zu wandeln. Pathos sucht man hier vergebens. Anders als bei seinen erfolgreicheren Geistesverwandten – den Nietzscheapologeten und den Surrealisten –, denen Selbstironie und Humor eher fremd waren, verzehren sich die Geschichten und Romane des Tschechen in grandiosen, sich überbietenden Lustigkeiten. In einem Feuerwerk unkontrollierter Affekte, in grotesken Übersteigerungen und grausamen Slapsticks werden alle Gedankengebäude, denen sich der Dichter im unpraktischen Leben verpflichtet fühlte, immer wieder kaputtgehauen (nicht vornehm „dekonstruiert“), beleidigt und in krankhaften Lachanfällen vernichtet.

Manchmal kippt die Atmosphäre auch ins Ernste, suggestiv Somnambule, und die Helden verirren sich tragisch zwischen Traum und Wirklichkeit: „Und dann verschwand alles. Finsternis hüllte mich ein – Mit Körper, ohne Körper? ... Ich weiß es nicht. ,Ich bin ein Toter‘, brüllte es in mir grauenhaft. Aber stimmt denn das? Ist das nicht nur ein Traum? Ist nicht alles nur ein Traum? Gibt es den Tod überhaupt? Ist nicht alles eher – postmortal?“

Ladislav Klima, der sich selbst für einen „geborenen Immortalisten“ hielt, starb völlig verarmt am 19.April 1928 an Tuberkulose. Er gehört nicht nur zu den vergessenen, sondern inzwischen auch zu den vom Markt verhinderten potentiellen Kultautoren. Wer die zwei einzigen auf deutsch in der Berliner „edition Sirene“ vorliegenden Werke Klimas – den Roman „Die Leiden des Fürsten Sternenhoch“ und die jüngst zur Buchmesse erschienene Sammlung grotesker Gespenstergeschichten, Novellen und Romanfragmente „Postmortalien“ – bestellen will, bekommt womöglich ein „Gibt's nicht“ zur Antwort. Nicht glauben. Direkt an den Verlag wenden.

Ladislav Klima: „Die Leiden des Fürsten Sternenhoch“. 254 Seiten, 32DM. „Postmortalien“, 396 Seiten, 56DM. Beide: edition Sirene. Kontakt: Köpenicker Straße 145, 10997 Berlin, Tel.: (030) 6118463.