Das Land, wo die Furunkeln blühen

Südafrika im Roman von Mike Nicol  ■ Von Andrea Seibel

Ein Roman, der die Furunkel auf dem Hintern eines Präsidenten zum Ausgangspunkt seiner Geschichte macht. Eine Geschichte, wie sie nur in der südafrikanischen Landschaft der Gewalt und Wüste spielen kann, damals, heute — morgen? Autor Mike Nicol malt ein grand design des ewigen Dualismus zwischen Macht und Ohnmacht, Stadt und Land, Peripherie und Zentrum, Natur und Kultur, Mann und Frau, Gut und Böse.

Einem namenlosen Präsidenten wird von einer Wahrsagerin prophezeit, daß ihn ein vom Volk geliebter „Erlöser“ herausfordern werde. Der Präsident, ganz Herr der Dinge, glaubt nicht ans Fatum, sondern an die Gestaltbarkeit der Geschichte, verliert sich selbstgefällig in jenen redundanten Floskeln des „gütigen und gerechten Landesvaters“, der doch nur die Untertanen mit Steuern ausbeutet und sich und seine Klientel mit Pfründen versorgt.

Später werden seine berittenen Soldaten, auch sie rektal geplagte Wesen (unter brennenden Hämorrhiden leidend), den neuen Propheten namens Enoch Mistas samt seinen Anhängern in der Wüste umbringen und verscharren, ignorierend, daß solche Toten ewig als Legenden weiterleben, daß jedes Verbrechen ans Licht kommt, daß nichts begraben werden kann. Die eitrigen Furunkeln, der Dorn im Fleische, sind noch vor dem physischen Ableben des Präsidenten Mahnmale seiner Verbrechen. Sein Körper wird zur erodierenden Landschaft, geht dahin in einer Wolke aus Müll, stinkenden Därmen, Kothaufen. Selten wurde in einem Roman so viel analer Schmerz verbreitet, wurde dem körperlichen Auswurf solche Aufmerksamkeit geschenkt. Mike Nicols kranke Körper als Metapher kranker Gesellschaft sind für das calvinistisch-prüde Südafrika eine irrsinnige Provokation.

Nicols Roman ist der Versuch, den magischen Realismus einer Allende oder eines Marquez auf Südafrika anzuwenden. Doch das subtropische, katholisch-lustvolle Moment findet keine einfache Entsprechung in der trockenen, gnadenlos-protestantischen Leere südafrikanischer Topographie. Dennoch gehören die Passagen über die Geburt des „Propheten“ Enoch Mistas zu den facettenreichsten des Buches. In einer Missions-Station irgendwo draußen im „veld“ wartet man auf die Geburt des „Erlösers“, der das renitente Volk gegen den steuergierigen Staat führen soll. Ma-Fatsoen, moderne Maria, gebiert jedoch nur Mädchen — vielleicht, weil sie ihren Mann reitet, einmal im Jahr, unter irrem Gelächter. Nach der sechsten Tochter bricht eine Seuche aus, die fünf Töchter und fast die gesamte Station hinrafft. Die Quellen, Sinnbild christlicher Erweckung in der Wüste, versiegen zu giftigen Schlammlöchern. Doch dann kommt ein Halbtoter aus dem Wüsten-Off geritten, den Ma- Fatsoen wie eine Drohne präpariert, um befruchtet zu werden. Er wird Erzeuger Enoch Mistas, bevor er im Leinensack in die Grube plumpst und die Quellen wieder sprudeln. Keine Liebe also zwischen Mann und Frau, sondern

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Fortsetzung

Verkehr zwischen Halbtoten. Die Zeichen stehen auf Haß und Morbidität, ist der „Retter“ doch eine Negativfigur des gnädigen, versöhnlichen Jesus, ein glutäugiger, hagerer Nostradamus, an dessen Handgelenk eine angekettete Bibel wie eine Gefängniskugel baumelt. Gemeinschaft also, die zwar Schutz bietet, die aber andere ausgrenzt, stigmatisiert. Gemeinschaft, wie sie sich aus der burischen Mythologie speist, die Nicol phantastisch verarbeitet zum „Stück Menschheit, das wie ein Fluß durch die Wüste strömt“. Ein Malstrom, der Angst vor Seitenarmen hat, vor Diversifizierung, vor Endmoränen. Der große historische burische Trekk weg vom Staat, aber auch weg von der bürgerlichen Gesellschaft, hinein in die kulturelle Wüstenei findet so sein Sinnbild: anti-aufklärerisch, masochistisch, inzüchtig, unfruchtbar, voller Todessehnsucht.

Auch die Opfer, gibt Nicol zu verstehen, haben Talent zum Täter. In die Syntax burischer Hysterie speist er moderne Fragmente ein, die dem ANC-Befreiungs-Jargon entnommen sind: weißer Nationalismus und schwarzer Nationalismus sind gleichwertig in ihrem separatistischen Gestus. Nicol schreibt „farbenblind“.

Südafrikas Landschaft ist eine Landschaft der Gewalt. Mike Nicol stellt sich der Brutalität der eigenen Geschichte, ohne sich den Normen der political correctness des Befreiungskampfes zu beugen. Es gebe „nichts langweiligeres als die Anti-Apartheidromane“, gab er seinem Schriftstellerkollegen Christopher Hope zu Protokoll. Rekonstruktion und Spurensuche liegen in der Luft, so als befürchte man schon wieder die große Leere, die Amnesie. Nicht ohne Grund spielt daher derzeit das Autobiographische eine große Rolle in der Literatur. Und nicht grundlos stellt Nicol gerade jetzt — am Scheideweg Südafrikas — existentiellere Fragen nach dem Sinn und der Lenkbarkeit von Geschichte. Melancholie sei ihm gestattet; Nihilismus und Geschichtsrelativismus läßt er zu stark wüten. Noch fehlt der Mut zur subversiven Ironie, die etwa einen Salman Rushdie von Anfang an leitete. Immerhin öffnet Nicol die Tür einen Spalt.

Mike Nicol: „Seit Jahr und Tag, Roman“. Roman. Aus dem Englischen von Thomas Piltz. Rowohlt Verlag, 378 Seiten, geb., 42 DM