Freier Dialog statt Uni-Planwirtschaft

■ Konrad Schilys Konzept für eine Neubestimmung deutscher Bildung

Neuerdings wird er als Elitentheoretiker vorgeführt. Selbstverständlich, so sagt der Präsident und Begründer der Privatuniversität in Witten/Herdecke, Konrad Schily, „brauchen wir Leistungs- oder Funktionseliten“. So überzeugt das klingt – es paßt nicht zum Denken des Neurologen und Anthroposophen. Schilys Bildungsideal, eine Kombination aus Humboldtschem Idealismus und einer versponnen anmutenden Ganzheitlichkeit, ist gänzlich unelitär. „Nicht schlimm, daß du das nicht kannst, du wirst es ja lernen“, zitiert er in seinem Buch ehrfürchtig einen Lehrer, den er einst an einer Waldorfschule kennenlernte. Das war des jungen Schily Bildungserlebnis. Natürlich war dort „die Höherbegabung des anderen nicht Gegenstand des Neides, sondern der Bewunderung.“ Zur Schily- Schule gehören notwendig die Hellen und jene, die es weniger sind. Sonst funktioniert sie nicht.

Das ist Erfahrungswert, biographisch plausibel bei vier Geschwistern und starken Einflüssen der Anthroposophie Rudolf Steiners. Auf sehr persönliche Art ausgebreitet in einem „Plädoyer für die Bildung“. Seine Attacke, in aller Schärfe vorgetragen, zielt jedoch in eine andere Richtung: auf den „staatlich bewirtschafteten Geist“. Schily geißelt die „staatlich gelenkte Planwirtschaft“ der Universitäten: Haushaltsplanung, besoldungsrechtliche Vorschriften – das sind für Schily „verregelte Strukturen“, in denen Initiativen und Ideen allzu leicht untergehen. Auch den Hochschulzugang spießt der Autor auf. Das Abitur stelle heute „den Eckpfeiler des staatlichen Regelungssystems für die Untertanenbewirtschaftung dar“. Es sei „Eintrittspforte in das Leben“ und entscheide „über die Kastenzugehörigkeit“.

Gipfel aber von „30 Jahren Bildungskatastrophe“ ist Schily zufolge die Einrichtung einer ZVS, Zentralstelle zur Vergabe von Studienplätzen. Genüßlich druckt er die sogenannte Kapazitätsverordnung und die Curricularnormwerte ab. Eine Geheimwissenschaft, nach der die ZVS die Zahl der zuzulassenden Studenten berechnet, ein „Ausbund der deutschen Bildungsplanwirtschaft“. Was er verschweigt: Notwendig wurde die ZVS eben nur, weil seit dem Öffnungsbeschluß der Universitäten im Jahr 1977 die Zahl der Studenten explodierte – was politisch gewollt war und auch heute aus guten Gründen noch gilt – und gleichzeitig Hochschulbau und Lehrpersonal sträflich vernachlässigt wurden. Ohne ein einigermaßen sinnvolles Verteilungssystem (die ZVS) wäre der Verfassungsartikel 12, die Freiheit der Berufswahl, nicht zu sichern gewesen.

Die Crux an Schilys Ausführungen ist, daß aus seinem stimmigen Konzept einige Argumente allzu gut in die konservativ dominierte Reformdebatte passen. Da wird dann „Elite“ herausgebrochen, um der Verschärfung des Abiturs das Wort zu reden – diesem unglaublichen Rollback zu einem scharf gegliederten Schulsystem. Das Abitur ist das Herzstück der antidemokratischen deutschen Bildungsideologie. Sie schuf eine Art Geistesadel samt – so Schily selbst – Monopolstellung, aus der „noch heute ganze Berufsstände ihre Machtstellung und ihre Legitimation“ ziehen.

Zur intellektuellen kommt die soziale Schranke für den Zugang zu „höherer Bildung“: Studiengebühren. Konrad Schily spricht davon, daß die „Gebührenfreiheit entmündige“. Er rechtfertigt dies mit Argumenten, die ihm eine Putzfrau aus Oxford und ein Straßenarbeiter vor der Uni Bochum liefern. In der derzeit so heftig geführten Reformdebatte bleibt davon nichts übrig außer: Studiengebühren entlasten den Staat finanziell und die Universitäten – von den Studenten.

Schilys Konzept ist, als Ganzes gesehen, imposant. Dem grün und republikanisch im besten Sinne inspirierten Bildungsforscher Michael Daxner bis zur Wortwahl nahe, will Schily die Hochschulen aus der Vormundschaft des Staates befreien. Der Staat solle nur mehr das Recht auf Bildung garantieren, aber „er muß nicht die Bildung selbst produzieren“. Das heißt etwa: freie Organisationsformen für die Unis (Stiftungen), die Professorenschaft radikal entamten (im Zuge der Emeritierungswelle um die Jahrtausendwende), finanzielle Autonomie und professionelles Management für die Unis; Abschaffung der Staatsprüfungen und Beseitigung der Kapazitätsverordnung. Diese guten Vorschläge sollte Schily alle einmal dem Kanzler machen, zu dessen erlauchter Runde er erst vorgestern beim „Bildungsgipfel“ gehörte.

Dann käme, so Schily, der Geist der Universität wieder aus den Ideen, aus der Konkurrenz verschiedener weltanschaulicher Richtungen. Dann könnte es das wieder geben, was er seitenweise hymnisch übernimmt. Jene Passage Wilhelm von Humboldts, die den Kern der Universität ausmacht: das gleichberechtigte Gespräch, der freie Diskurs zwischen Lehrenden und Lernenden. Wir erinnern uns. Humboldt holte vor zweihundert Jahren die Studierenden in die vergreisten Akademien, weil „der Gang der Wissenschaft offenbar auf einer Universität, wo sie immerfort in einer großen Menge und zwar kräftiger, rüstiger und jugendlicher Köpfe herumgewälzt wird, rascher und lebendiger“ ist. Christian Füller

Konrad Schily: „Der staatlich bewirtschaftete Geist“. Econ-Verlag 1993, 227 Seiten, 48 DM