Die Kunst der Psychiatrie

■ Ein Kreativbüro im ehemaligen „Asyl für Geistes- und Nervenkranke“

Ein ehemaliger Psychiatriepatient hat vor zwei Tagen eines seiner Bilder verkauft. „Das kommt schon mal vor. Andere hängen stark an ihren Sachen und nehmen sie mit nach Hause. Der Rest wird von uns treuhänderisch verwaltet.“ Oben in der Künstlerwerkstatt lehnen sie an der Wand. Große, knallige, schreiende, oder zart gespritzte Bilder, manche von mehreren PatientInnen gemeinsam gemalt. Im Sommer hingen sie noch an Bäumen und Sträuchern, zum „Spektakel“ der Künstlerwerkstatt im Wald des Zentralkrankenhauses Ost.

Mit dem „Spektakel“ schloß die Künstlerwerkstatt ihr diesjähriges großes Arbeitsprojekt ab. Die Werkstatt ist eine der Initiativen des Kreativbüros, das seit 1987 im allgemeinen Zentralkrankenhaus Ost (ZKH) im Bremer Stadtteil Osterholz arbeitet. Seither sind die beiden zugehörigen Mitarbeiter Achim Tischer und Stephan Uhlig mit den Psychiatrie- PatientInnen des Hauses künstlerisch aktiv. Maskentheater, Action Painting, Tanz, ein eigenes Hörspiel - die Arbeit ist vielseitig, projektbezogen und vom Status der ABM-Maßnahme nun in die Trägerschaft des Krankenhauses übergegangen.

Zwei von drei Bremer psychiatrischen Kliniken (die dritte ist in Sebaldsbrück) sind noch im Zentralkrankenhaus Ost untergebracht. 1904 war es als „Sankt-Jürgen- Asyl für Geistes- und Nervenkranke“ gegründet worden. Damals hatte man „die Irren“ aus der Stadt geschickt und im zehn Kilometer entfernten Örtchen Ellen eine sogenannte koloniale Anstalt aufgebaut. Es entstand eine Gutsanlage auf rund 72 Hektar Gesamtfläche, mit einer geschlossenen Abteilung und der offenen Kolonie, in der die PatientInnen freier lebten und arbeiteten. „... ab nach Ellen!“, die Dauerausstellung des Krankenhausmuseums, dokumentiert die eigene Gründungsgeschichte. Diese ist ebenfalls vom Kreativbüro reaktiviert worden - Achim Tischer führt das Museum seit 1989.

1.400 Betten und 2.000 MitarbeiterInnen gehören heute noch im ZKH zu den psychiatrischen Abteilungen. Die Kurse des Kreativbüros sind Teil des Freizeitangebotes. „Das spricht sich dann herum“, sagt Tischer. „Meistens kommen Leute zu uns, die irgendwann mal irgendetwas gemacht haben oder machen wollten.“ Alles freiwillig, es gibt keinerlei Austausch mit den behandelnden ÄrztInnen. „Die Krankheitsbilder der PatientInnen haben uns bewußt nie interessiert.“

In der Halle des „Gesellschaftshauses“ auf dem alten Gutshofgelände stehen Billard- und Kickertische. Ab und an steigt hier die Disco, und oben hat die Künstlerwerkstatt drei Räume für sich. Tonmasken liegen auf dem Boden. An den Werkbänken werden die Holzbilderrahmen geschreinert. Das Tonstudio nebenan ist Stephan Uhligs Domizil. Von dort wurde im September das selbstproduzierte Hörspiel über Krankenhausfunk gesendet.

„Das Gesellschaftshaus ist so etwas wie eine Anlaufstelle geworden“, erzählt Uhlig. „Manche Gruppe existiert auch nach dem Krankenhausaufenthalt weiter, manchmal kommen Gleichgesinnte von außen dazu.“ So, wie das Kreativbüro mit seinen Aktionen den Psychiatrie-Alltag „nach draußen“ bringen will, so soll nämlich auch das Leben aus dem umgebenden Stadtteil Osterholz ins Haus kommen.

Dreh- und Angelpunkt ist da das Haus im Park. Herrschaftlich, mit liebevoll restaurierter Jugendstilornamentik steht es am Waldesrand. Wo früher gemeinsam gebetet wurde, finden heute Fachtagungen und Kulturveranstaltungen statt. Die Kreativbüro-Macher holen sich dafür vor allem Gruppen, die sonst keine Spielorte finden. Kindertheater etwa, oder junge KünstlerInnen, oder Jazzer, die kaum Auftrittsmöglichkeiten haben. 25 Prozent der Veranstaltungskosten trägt das Krankenhaus, aufgestockt wird über Sponsoring. Für das Aids- Stück der Hamburger Truppe Lubricat hat Stephan Uhlig mal wieder einen Spendenaufruf verschickt. Er hat nichts eingebracht. Seit letztem Jahr will deshalb der „Kulturverein Haus im Park“ für eine größere Lobby sorgen. Ideen gibt es genug: Die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Künste ist angeleiert, und demnächst wird das ganze Kreativbüro in ein neues Gebäude ziehen, wo dann auch eine große Galerie eingerichtet wird. „Uns geht es ja auch darum, Kultur in Osterholz zu aktivieren“, so Uhlig. „Es gibt sehr viel an Kleinkunst oder Musik hier, was schon existiert und das kulturelle Leben mehr bestimmt als irgendwelche angekauften Orchester.“

Silvia Plahl

Die nächste Aufführung im Haus im Park ist die Märchenpremiere „Die Schneekönigin“ von H.C. Andersen von der Max- und Moritz- Kinderbühne, am 21.11., 16 Uhr.