: Praunheims erster Mann
■ Mal ohne Kunstwillen: "Meine Oma hatte einen Nazipuff", West 3, 23 Uhr
Rosa von Praunheim liebt die Frauen. Er liebt sie, weil er sich seelisch verwandt fühlt mit ihnen, und er liebt sie als Studienobjekt. So würde er sie natürlich niemals bezeichnen. „Leute mit einer interessanten Geschichte“ sind sie für ihn. Durch viel Nachfragen und noch mehr Zufälle gerät er immer wieder an interessante – und das heißt immer etwas abseitige – Frauen: lebendige wie Lotti Huber oder Evelyn Künneke, tote wie die Tänzerin Anita Berber, oder auch, wie im vorliegenden Fall, die Hure Kitty Schmidt. Aber diesmal war es anders: Erstmals und ohne es zunächst zu wollen, geriet Praunheim in die Situation, einen Mann zu porträtieren.
„Salon Kitty“ hieß das Haus in der Berliner Giesebrechtstraße, das stadtbekannt war für seine kultivierten Damen. An der Wand hängt noch heute ein Ölgemälde der Gründerin: Kitty Schmidt, die das Haus vor und im Krieg betrieb. Ihre Tochter Kathlyn, eine bekannte Tänzerin, wandelte es nach 1945 in eine Künstlerpension um, in der auch Erich Kästner nächtigte.
„Salon Kitty“ wäre ein Bordell wie jedes andere – gäbe es da nicht das Buch von Peter Norden, der behauptet, es sei ein Nazi-Puff gewesen. Nicht ein Puff für Nazis, sondern für deren ausländische Staatsgäste, die von speziell ausgebildeten Frauen ausspioniert worden seien. Damit nicht genug: es habe außerdem eine komplette Abhöranlage in jedem Zimmer gegeben, samt einer Aufzeichnungszentrale im Keller. Kitty und Kathlyn haben davon angeblich nichts gewußt, leider bleibt auch der Buchautor jeden Beweis für die trivialroman-taugliche Geschichte schuldig (es hat sogar eine Verfilmung namens „Doppelspiel“ von Tinto Brasso gegeben, die Rosa von Praunheim in Ausschnitten zeigt).
Wachsplatten, auf denen sämtlichen Huren-Freier-Gespräche festgehalten sein sollen, will Norden gesehen (nicht etwa gehört) haben, mit je ein bis zwei Stunden Spielzeit. Praunheim stellt diese Aussage der eines Mitarbeiters des Rundfunkmuseums gegenüber, der von nur vier Minuten pro Platte spricht. Seit 1935 habe es ohnehin Magnettonbänder gegeben. Ex-MitarbeiterInnen des Salons hat Praunheim zwar aufgestöbert, aber diese „leugnen“ fast alles. So löst sich die schöne Geschichte bald in Luft auf.
Und eine andere entsteht: die des Enkels Jochen Mattei, der nach eigener Aussage „nie ganz begriffen“ hat, was in seinem Zuhause vor sich ging, der unendlich an seiner Mutter hing, und schließlich, aus Trennungsschmerz nach deren Tod und nach diversen unglücklichen Lieben, „schwerer Alkoholiker“ wurde. Entwaffnend offen, wie sich der Mittvierziger trotz hohen Lampenfiebers zusammen mit seiner Gattin im Wohnzimmer aufbaut und in einfachen Worten von seinem lebenslangen Leiden und Mutters Persönlichkeit berichtet: „Klar war sie sehr dominant ...“ Und aus Wien reiste Ernst Stankovski („Erkennen Sie die Melodie?“) an, um Jochens Geschichte um Hautausschläge und wilde Szenen zu bereichern.
Praunheim entwickelt nach und nach Sympathie für den sanften Klotz, unter dessen Leitung die Pension zu einem Heim für jugendliche Asylbewerber wurde. Der fristlosen Kündigung folgten, nach Ende der Dreharbeiten, zwei Brandanschläge, aber Jochen Mattei gibt sich nicht geschlagen. Den Prozeß gegen den Vermieter hat er schon gewonnen.
Ein kurzer, spannender Film von Praunheim ohne jeden trashigen Kunstwillen, dafür mit einer präzisen und humorvollen Zusammenstellung von Bildern und Worten zu einem doch nicht so abseitigen Thema. Oliver Rahayel
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