■ Nach dem bündnis-grünen und vor dem SPD-Parteitag: Falsche Fragen – nutzlose Antworten
Zwei Fragen bestimmen die bündnis-grünen Köpfe vor dem Wahljahr 94: Wogegen? – Mit wem? Wo immer, was auf Parteitagen schwer zu vermeiden ist, zwei oder mehr Parteigänger aufeinandertreffen, werden Antworten gesucht. Je näher die Dauerkonkurrenz um die Wählerstimmen rückt und je günstiger die Wahlprognosen für die Grünen ausfallen, desto drängender wird gefragt. Auch in Aachen wurden schon mal probeweise ein paar Antworten verfertigt. Sie geraten diffus. Doch indem sich kaum einer dem Zwang der Fragestellung entziehen kann, hat man zumindest schon mal einen gemeinsamen, wenn auch eher schmächtigen Nenner.
Anders als bei der deprimierenden Jugoslawiendebatte des letzten Parteitages, als die Grünen in alt- triumphalistischer Manier ihre Gegnerschaft zu Militarismus, Krieg und Bundeswehr bekundeten, gab es diesmal keinen Dissens. Die antieuropäischen Tendenzen früherer Jahre sind endgültig passé. Doch auch die Aachener Einigkeit basiert auf Gegnerschaft, nur daß sich, anders als beim prinzipiellen Nein zur gewaltsamen Intervention in Bosnien, diesmal alle einig waren. Es ist die gemeinsame Gegnerschaft zum „Nationalismus“ und das Unbehagen am vereinten Deutschland, die die Grünen in Sachen Europa geeint und die alten Bedenken gegen den europäischen Zentralismus verdrängt hat. Zwar hat die Partei mit einem passablen Europaprogramm eine Brücke zwischen früherer Kritik und aktuellem Ja konstruiert; doch daraus wird schwerlich eine grüne Europa-Vision. Zu sehr bleiben die Emotionen im „Anti“ gebunden, zu ungewohnt ist beim Thema Europa die Gemeinsamkeit mit dem Kanzler.
Eine Schlüsselszene für das Verständnis der Partei lieferte auch diesmal Dany Cohn-Bendit. Während er sich mit seiner Bonner Rede zielsicher in die Paria- Rolle gebracht hatte, formulierte er in Aachen mit antinationalistischer Emphase den Parteikonsens des „Wogegen“. In solchen Momenten kennen die Grünen – von Fischer bis Volmer, von Cohn-Bendit bis Trittin – keine Strömungen. Auf dieses Ritual, das die fast schon erwachsenen Grünen mit ihren fundamentalistischen Ursprüngen verbindet, können die Grünen noch immer nicht verzichten.
Doch genau hier, auf dem ritualisierten Höhepunkt der Gemeinsamkeit in der Gegnerschaft, trennen sich auch wieder die Wege. Denn die Macht des „Gegen“- Rituals droht die zweite Frage zu ersticken, auf die der grüne Dauerdiskurs eine Antwort sucht. Will man regieren oder opponieren, und mit wem eigentlich will man in einem Jahr Mehrheiten organisieren? Hier beginnt das Spiel der kommunizierenden Röhren: Je mehr sich die grüne Identität am „wogegen?“ aufrichtet, desto deutlicher tendiert die Antwort auf die zweite Frage zur „einzigen Opposition“. Umgekehrt macht die Rot-Grün-Debatte nur Sinn, wenn der „Gegen“-Diskurs überhaupt noch die Chance eines Bündnispartners offenläßt. Also dürfen sich diejenigen in der Partei, deren Politik der letzten zehn Jahre sich wie eine Teleologie für das Bonner Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten liest, nicht allzu lange im „Wir gegen das Böse“ sonnen. Doch auch den eingefleischtesten Realos fällt es derzeit schwer, die Hoffnung auf Rot-Grün, das Movens ihrer Politik, wach zu halten.
Umgekehrt hatten in Aachen die Argumente Hochkonjunktur, die eine Liaison mit dieser SPD ad absurdum führten. Auch hier trafen sich auf dem Parteitag die eher linken mit den realpolitischen Exponenten: der Schröder-gebeutelte Jürgen Trittin beispielsweise mit der Voscherau-frustrierten Christa Sager, die auf dem Parteitag ihren gerade geplatzten Koalitionstraum mit einem hochprofessionell vorgetragenen SPD-Verriß beerdigte. Selbst Joschka Fischer profiliert sich derzeit als scharfzüngiger SPD-Kritiker. Kein Land in Sicht. Doch selbst wenn sich die Grünen – Linke mit Lust, Realos mit Schmerz – auf den Rückweg in die Bonner Opposition begeben, die Debatte um Regieren oder Opponieren werden sie trotzdem nicht los. In die Sandkastenspiele des „keinesfalls“, „wahrscheinlich eher nicht“ und „vielleicht doch“ werden sie weiter einen Gutteil ihrer Energien investieren.
Beschäftigt mit der Reproduktion halb-falscher Identitäten, frustriert im Nebel der Koalitionsdebatten, sind die Grünen gerade dabei, den politischen Situationswandel zu verschlafen. Denn nicht nur stehen die Zeichen für Kohls Kanzlerschaft – Stoiber, Heitmann, Statt Partei – ungeahnt plötzlich auf Niedergang. Entscheidender ist, daß sich – ebenso unerwartet – die Chance für eine neue gesellschaftspolitische Krisen-Reformdebatte eröffnet hat. Der Viertagevorschlag von VW könnte sich als Initialzündung erweisen für das Ende der Nach-Einheits-Paralyse. Diese Chance nicht zu nutzen, dazu scheinen Grüne wie SPD derzeit ähnlich fest entschlossen. Wen man bekämpfen will, mit wem man warum (nicht) regieren will, darüber läßt sich derzeit gespenstig nutzlos debattieren. Doch Grüne und SPD müssen jetzt Antworten finden, mit welchen reformpolitischen Vorstellungen sie 94 antreten wollen. Dann wird man sehen. Matthias Geis
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