„Wir kämpfen für ein positives Ziel“

Trotz waffentechnischer Unterlegenheit macht die bosnische Armee seit Monaten Gelände gut / Die bosnischen Soldaten sind motivierter als ihre serbischen und kroatischen Gegner  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Es ist schon erstaunlich, welche Erfolge die Bosnische Armee in den letzten Monaten erringen konnte. Denn die „Armija RBiH“ kämpft nicht nur gegen die von der Ausrüstung her überlegenen bosnisch-serbischen Streitkräfte, sondern muß sich seit Mitte April auch zunehmend den Angriffen des „Kroatischen Verteidigungsrats“ (HVO) erwehren. Obwohl sie fast überall in Kesseln eingeschlossen sind, ist den bosnischen Soldaten das schier Unmögliche gelungen: Sie konnten in der Region um Tuzla die Fronten gegen die Serben halten, und in Zentralbosnien gar Terrain gegenüber den kroatisch-bosnischen Streitkräften gutmachen.

Nimmt man das kürzlich eroberte Gebiet um die zentralbosnische Stadt Vareš hinzu, so konnte die „Armija RBiH“ das von ihr kontrollierte Territorium seit April dieses Jahres fast verdoppeln. Mit den Erfolgen in Travnik, Jablanica, Konjić, Bugojno und um die kroatischen Enklaven Vitez, Busovaća und Kiseljak herum hat die Bosnische Armee dem HVO herbe Niederlagen zugefügt. Und indem sie die östliche Seite von Mostar halten konnten, haben die bosnischen Soldaten nachhaltig die Pläne des selbsternannten „Präsidenten“ der „kroatischen Republik Herceg-Bosna“, Mate Boban, gestört, der Mostar zur Hauptstadt seiner Minirepublik ausrufen will.

Nicht nur westliche Verteidigungsexperten und Militärs wundern sich. Denn die rund zwei Millionen Menschen in den eingeschlossenen Regionen verfügen nicht einmal mehr über genügend Nahrungsmittel. Seitdem im Sommer die internationale Hilfe stockte, hungert ein großer Teil der Zivilbevölkerung. Und die Bosnische Armee ist waffentechnisch den angreifenden serbischen und kroatischen Einheiten weit unterlegen. „Die Erfolge sind nur psychologisch zu interpretieren“, erklärte kürzlich ein amerikanisch- kroatischer Militärexperte, der den HVO berät. Vor allem die aus Moslems bestehenden Truppenteile der Bosnischen Armee seien hochmotiviert: „Bei ihnen geht es um das blanke Überleben.“

Auf rund 60.000 bis 80.000 Soldaten wird die Stärke der bosnischen Streitkräfte geschätzt. Die „Armija“ ist in fünf Korps gegliedert, in die von Sarajevo, Tuzla, Zenica, Mostar und Bihać. Immer noch sind in ihr die drei großen Bevölkerungsgruppen Bosniens vertreten. Vor allem in der Region um Tuzla und in Sarajevo entsprechen die Anteile von Serben und Kroaten fast genau dem Anteil dieser Nationen an der Bevölkerung. In der Region um Bihać sind es Kroaten und Muslime, die in der bosnischen Armee kämpfen. In Zentralbosnien hat das muslimische Element eindeutig die Oberhand gewonnen, seit der kroatische HVO im April zum Angriff blies.

In der Kommandostruktur jedoch wird der multikulturelle Aspekt strikt betont: Dem muslimischen Oberkommandierenden Razim Delić sind der Serbe Jovan Divjak und der Kroate Stejpan Šiber als Vizekommandeure zugeordnet. Ränge und Abzeichen gibt es nicht. Die Stellung des einzelnen Soldaten ist über die Funktion definiert. In der 7. „moslemischen“ Brigade sind die Muslime völlig unter sich. Dort ist auch ein großer Teil der Freiwilligen aus islamischen Ländern eingegliedert, deren Anzahl auf 200 bis 1.000 geschätzt wird.

„Wir könnten wesentlich mehr Truppen aufstellen, wenn wir über genügend Waffen verfügen würden“, erklärte schon im April einer der Kommandeure der 17. Brigade, Mehmed Alagić. Damals hoffte die bosnische Regierung noch auf die Aufhebung des Waffenembargos. Weil sich der US- amerikanische Präsident Clinton aber mit dieser Absicht nicht gegenüber den europäischen Verbündeten Großbritannien und Frankreich durchsetzen konnte, „blieb uns nichts anderes übrig, als ausschließlich auf die eigene Kraft zu vertrauen“, sagte schon im Juli Vizekommandeur Divjak.

Das größte Problem der bosnischen Truppen besteht darin, dem Mangel an Waffen und Munition abzuhelfen. Die wichtigste Quelle ist dabei ihre Eroberung. Spezialeinheiten robben des Nachts an die gegnerischen Stellungen und besiegen ihre Gegner in verlustreichen Nahkämpfen, bei denen deren waffentechnische Überlegenheit nicht ausgespielt werden kann. Dann werden eroberte Waffen und Munition abtransportiert. Zudem haben die Bosnier viel Geschick darin entwickelt, Blindgänger zu Munition aufzubereiten. „Diese Granaten sind jedoch nicht besonders effektiv“, erklärt der oben genannte HVO-Militärberater. Eine dritte Quelle ist der Kauf von Waffen direkt vom Gegner. Sowohl serbische wie auch kroatische Unterkommandeure verdienen sich auf diese Weise ein dickes Zubrot zum kargen Sold.

„Die anderen Seiten kämpfen aus Haß, sie wollen uns Moslems und die bosnische Gesellschaft vernichten. Wir jedoch kämpfen nicht nur um das blanke Überleben, auch für ein positives Ziel, die Rettung Bosniens.“ Für die höchste religiöse Autorität von Bosnien, den „Naibu Reis“ von Sarajevo, Mustafa Cerić, wiegen diese Inhalte viele Waffen auf. „Wir sind zwar von der Welt verlassen worden, wir werden jedoch nicht mehr kampflos, wie zu Beginn des Krieges, in den Tod gehen“, betonte er bei einem Gespräch im August dieses Jahres.