„Die sagen immer nur, was nicht geht“

■ Hamburger Abiturienten schnupperten die dicke Luft in Hamburgs Massenuni     Von Kaija Kutter

Ob das Absicht war? Die glitschigen Nudeln, die sämige Gulasch-Soße und der verkochte Broccoli in der Uni-Mensa? Man solle doch Nachsicht haben, täglich würden 25.000 Portionen ausgegeben, hatte Studentenwerks-Chef Martin Klee am Morgen bei der Begrüßung der Schüler im Audimax gewarnt, die auf Einladung der Universität einen Tag „Schnupperstudium“ einlegten.

So schlecht ist das Essen in der Mensa sonst nicht. Egal - Nahrungsaufnahme stand nicht im Mittelpunkt des Interesses der Zwölftklässler, die am Montag und Dienstag in Massen vom Dammtor-Bahnhof Richtung Campus strömten, ein kleines gelbes Heft mit dem Uni-Lageplan in der Hand. Ralf und Ingo vom Gymnasium Oldenfelde, zum Beispiel, suchen den Fachbereich Mathe. Sie hätten sich am Vortag Physik angehört, der Professor hätte von dreidimensionalen integralen Funktionen gesprochen, „wir kennen gerade mal die eindimensionalen“. Die beiden wollen Physik studieren. Der „Spiegel“ rate wegen der schlechten Berufschancen zwar davon ab, „aber man soll doch studieren, was einem liegt. Oder?“, sagt Ralf.

So entschlossen wie die beiden ist an diesem Vormittag jedoch kaum einer. Ein wenig blaß um die Nase, in Wollcapes und Schlabberlook der 70er Jahre gekleidet, drängte die künftige Studentengeneration in die Hörsäle. Eigens für sie wurden dort Vorträge gehalten, die teilweise zu Abschreckungsveranstaltungen gerieten. „Weiß ich nicht“, haucht die junge Frau, die in der zehnten Reihe im Hörsaal D des Phil-Turms der Information über „Studium und Berufsmöglichkeiten im Fach Psychologie“ lauscht, auf die Frage ihrer Nachbarin, wieviele Studenten dieses Fach studieren. Hat sie es nicht gehört, wollte sie es nicht hören, oder redete Dozent Matthias Burisch einfach zu schnell? „Was sie hier erleben, ist sowohl in Bezug auf Luftqualität als auch auf Sitzplätze nicht ganz atypisch für ihr Studium“, hat dieser seine knapp 400 Zuhöhrer begrüßt. Der Fachbereich sei zu groß, um überschaubar zu sein, und nur etwas für Leute, „die es gewohnt sind, sich in chaotischen Systemen zurecht zu finden und die Löcher im Zaun zu entdecken.“

Antonia (17) ist bereits tags zuvor aus diesem Vortrag geflüchtet, im Entschluß bestätigt, eine Lehre zu machen und nicht zu studieren. „Da hab ich ja mit meiner Rede Erfolg gehabt“, soll Burisch den Abgang jedes Zuhörers kommentiert haben. Für Hamburgs Oberstufenschüler, die, wie Schulsenatorin Rosie Raab es kürzlich formulierte, in den kleinsten Lerngruppen lernen, ist das grobe Desinteresse der Hochschullehrer ein Schock.

Diese hätten oft nur eine rauhe Schale, hat Uni-Vize-Präsident Gunther Engelhardt bei der morgendlichen Begrüßung beteuert. Und anschließend berichtet, was die „Studenten von morgen“ bald am eignen Leibe spüren werden. Daß die Hochschulen seit dem Öffnungsbeschluß von 1977 fast 100 Prozent mehr Studierende haben, die Zahl der Professoren hingegen konstant geblieben ist.

„Hilfe, sie kommen“, hat die studentische „Unizeitung“ die Schnupperstudenten angekündigt. „Ich hoffe, daß ihr nicht gleich ,ne Krise kriegt“, hat die Asta-Vorsitzende Petra Follmar gesagt. Das lässige Gedrängel zwischen den etwas älteren künftigen Kommilitonen erfüllt manchen mit Stolz. „Ich find's toll, die Atmosphäre hier mitzukriegen“, sagt Phillip, dessen Verwandte für seine Ausbildung ein eignes Konto angelegt haben und der schon genau weiß, daß es „Musikwissenschaft“ sein soll. Andere schlucken bei der Frage der Finanzierung. Sind sie nicht Bafög-berechtigt (80 Prozent), müssen sie jobben und oder mit den Eltern um monatliche Unterstützung pfeilschen. Im Gegensatz zu früher sei Studium keine „billige Eintrittskarte in eine Karriere mehr“ (Engelhardt), sie müßten sich an den Gedanken gewöhnen, daß ein „akademischer Abschluß keine Berufsqualifikation ist“, betont auch der Studienberater Peter Figge. Dafür seien die Uni-Jahre „ganz wichtig für die persönliche Entwicklung“.

„Die Lehrer sagen uns immer nur, was nicht geht“, stöhnt Bianca (17). „Alle schrecken uns ab, aber keiner baut uns auf“. Zusammen mit ihrer Freundin Katrin wartet sie vor dem turnhallengroßen Hörsaal der Juristen auf das Ende von „Einführung in das Strafrecht, Allgemeiner Teil I“. Der Saal ist proppevoll. Die Schüler dürfen bei einer „richtigen Vorlesung“ zuhören. Was sie nicht wissen: Hätte die Uni die ursprünglich geplante Sparverpflichtung von 17 Millionen Mark einhalten müssen, wären die begleitenden Tutorien für Jura-Anfänger gestrichen worden. Nur Saalvorlesungen wären den Erstsemestlern dann geboten worden.

„Erklär mal jemand in Kürze, was die Vakanzrate ist“, stöhnt der Geschichtsstudent Jakob Richter, der im Mensa-Flur Unterschriften gegen die Verpflichtung der Uni sammelt, sieben Prozent der Stellen „vakant“ zu halten. Sie sollten nicht nur studieren, sie sollten sich auch politisch engagieren, hat die Asta-Vertreterin am Morgen gesagt. Nicht nur Vakanzrate, auch Studiengebühren und Zwangsexmatrikulation gilt es zu bekämpfen. Weil es an Aufmerksamkeit mangelt, greift Richter schließlich auf anschauliche Parolen zurück: „Nie wieder verkochter Broccoli in der Mensa!“