Sanssouci
: Nachschlag

■ "Rashomon" im Theater

Ein Mann ist tot, und niemand weiß, wie es geschehen ist. War ein Räuber der Mörder? Die Frau? Oder ist der Tote am Ende selbst schuld? Drei Menschen grübeln über den Tathergang – und verzweifeln an der Wahrheit, von der es mehrere Varianten gibt. Vor über 40 Jahren, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, hat Akira Kurosawa sein Meisterwerk „Rashomon“ gedreht. Ein Film über das Entsetzen, die verstörende Unordnung in der Welt, voll stoischer Trauer und verzagter Unruhe. Ein Film, der Menschen zeigt, die auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit sind, die gegen das Verlöschen der Erinnerung anreden und sich schließlich in ihrer Vorstellung vom Geschehenen einmauern.

Jetzt, in einer Zeit, in der Menschen allenthalben Schwierigkeiten mit der Wahrheit bekunden, gibt es „Rashomon“ als Schauspiel, in einer doppelten Premiere. Erstmals wird die Fabel, die auf Novellen von Ryunosuke Akutagawa zurückgeht, auf der Bühne erzählt. Und erstmals tritt auch das von Christian Tietz und einigen Schauspielern aus der Off-Szene gegründete „Theater von außen Berlin“ an die Öffentlichkeit. Doch wie kann eine Theaterinszenierung des Stoffes dem Vergleich mit dem Giganten Kurosawa entkommen? Tietz hofft offenbar, daß, wenn er sich duckt, man ihn nicht mit dem Riesen messen werde. Er verkleinert das Thema der Suche nach Wahrheit und nach Schuld zu einem Rollenspiel über den Geschlechterkampf. Und er verlegt die Fabel aus der gleichnishaften Vergangenheit in die Gegenwart. Statt unter einem Tempeltor spielt man nun in einer Kneipe. Der Tod stinkt nach Fusel, das Heiligtum ist die Theke, und die Verzweiflung über die Schrecken der Zeit gleicht gerademal dem Kopfschmerz nach einer durchzechten Nacht.

An diesem Ort treffen die drei Spieler aufeinander, die zugleich Erzähler und Handelnde mimen. Ein verwegener Kerl mit zerrissenen Hosen, blutender Nase und linkischen Bewegungen. Ein Mann so dumpf wie ein Baum, im Holzfällerhemd. Und ein goldblond appetitliches Mädchen in einer braunen Edel-Kutte. Nachdem sie sich – und die Zuschauer sie — einige spannungslose Minuten belauert haben, legen die Darsteller los. Bald knieend wie vor dem Richter, bald die Szene vorspielend, entfalten sich die verschiedenen Versionen der Erzählung. Bruchlos werden die Rollen gewechselt, nur von allerhand Posen des „Wir wissen nicht weiter“ gelegentlich ins Stocken gebracht. Immer wenn es was zu tun gibt (fechten, schreien oder wieder fechten), blühen die Schauspieler auf. Herrscht aber Stille (denken, warten, denken), verwelken sie – und die Zuschauer mit ihnen. Dann erwägt man, doch lieber ins Kino zu gehen, hofft, das Theater von außen bald wirklich von außen zu sehen. Denn nicht Kurosawa ist zu mächtig, die Truppe ist leider zu schmächtig. Dirk Nümann

Weitere Aufführungen: 18., 20., 22.–23., 28.–9.11., jeweils 21 Uhr, Theater von außen Berlin, Rosenthaler Straße 51, Mitte.