Europa geschlossen: Belgien macht intuitiv frei Von Alois Berger

Montag war wieder ein Dreiachtelfeiertag, nichts Katholisches offensichtlich, der Bäcker unten in der Straße verkaufte ganz normale Brötchen. Auch kein sozialistischer Feiertag, sonst hätte der Fernsehladen daneben nicht zugehabt. Dafür saß die Schneiderin mit den runden Brillengläsern und der dicken Katze in ihrem Laden, was gegen einen flämischen Anlaß spricht. Es mußte also irgend etwas sein, was quer durch die belgische Gesellschaft geht, aber doch nicht so wichtig ist, daß alle reagieren. Die Zeitungsfrau meinte, es hätte mit dem König zu tun, so genau wüßte sie es auch nicht, in jedem Fall würde sie am Nachmittag zumachen.

Das ist das Schöne an Belgien, irgendeinen Grund zum Nichtarbeiten gibt es immer, und der wird in der Regel auch offiziell anerkannt. Was freie Tage angeht, liegt das Königreich sogar noch weit vor dem in Deutschland führenden Freistaat. Dumm ist bloß, daß man nie so genau weiß, welche Dreiachtel gerade frei machen. Gestern konnte ich immerhin herausfinden, daß die Staatsangestellten in der Verwaltung nicht arbeiten mußten, die Lehrer aber schon, die genaugenommen ja auch beim König beschäftigt sind. Es gibt da keine nachvollziehbaren Regeln; die es betrifft, wissen es von selbst. Die Belgier machen sozusagen intuitiv frei. Die europäische Verwaltung hat sich schon gut angepaßt, obwohl es da gar nicht so viele belgische Angestellte gibt, weil da auch die anderen EG-Länder ihre talentierten Söhne und Töchter unterbringen wollen. Aber die sind alle sehr auslandserfahren und wissen, was sich gehört. In Rome do as the romans do.

Vor zwei Wochen, es war ein ganz normaler Dienstag, also ein Werktag im ersten Wochendrittel, um genau zu sein, es war der 2. November, da tobte das alltägliche Leben in der Stadt, aber Europa blieb geschlossen. Niemand konnte sagen, wieso eigentlich. Die drei Journalisten, denen niemand Bescheid gesagt hatte und die pünktlich um zwölf Einlaß zur täglichen Pressekonferenz begehrten, wurden von den Pförtnern knapp und entschieden abgemeiert. „Kommissionsfeiertag“, fauchte der kleine Dicke, „das gilt auch für Sie.“ Was im ersten Teil nicht ganz richtig war, weil nicht nur die EG- Kommission, sondern auch das Europäische Parlament die Arbeit ruhen ließ. In weiser Voraussicht hat das Parlament ausnahmsweise gar nicht versucht, der Kommission mangelnde Begründung vorzuwerfen – bringt eh nichts.

Was Feiertage angeht, ist die europäische Verwaltung fast so eifrig wie die belgische. In Luxemburg gibt es eine Bibliothek nur für das Europäische Parlament. Aber weil das Parlament entweder in Straßburg oder in Brüssel tagt, aber nie in Luxemburg, ist dort das ganze Jahr über Feiertag. Eine Europaabgeordnete, die dort einmal ein Buch ausleihen wollte und sich schlauerweise vorher angemeldet hat, fand den beachtlichen Buchbestand in schier jungfräulichem Zustand. Keine abgegriffenen Buchrücken, keine Eselsohren in den Büchern, nicht einmal Fingerabdrücke. Dafür eine Notiz auf einem der Schreibtische, an dem sie eigentlich nichts zu suchen hatte. Ein Rundschreiben, in dem gewarnt wurde, daß an diesem Tag eine Abgeordnete vorbeikäme und deshalb alle auf ihren Plätzen zu sein hätten. Es funktioniert also auch andersrum.