Kein Kurzweilterror

■ „Langeweile – Ausfall des Dauerrauschs“, 20.15 Uhr, West 3

Langeweile. Kein Wort faßt die Ängste der Fernsehmacher so gut zusammen wie dieses. Wer Langeweile sät, erntet schlechte Quoten, böse Kritiken, miese Saläre, branchenweiten Rausschmiß, Tod in der Badewanne, kurz: Die Langeweile hat in der Fernsehwelt Hörner und Hufe.

Bei dem Sender, dessen Konzept nichts als Exorzismus „gegen die Langeweile“ sein will, wo Worte und Waren bis zum Abwinken verteilt werden, ist einer der Lieblingslangeweilevertreiber der Nation zu Hause: Harry Wijnford. Ihn wählten die Autoren dieses Films über Langeweile (lästerlich: Susanne Müller und Andreas Coerper) zu Recht zum Hauptrepräsentanten des Kurzweilterrors auf der Mattscheibe; er begleitet uns mit seinem Geprahle über die Millionengewinne und mit Zynismen über die kaufkräftigsten unter seinen Zuschauern durch 45 gar nicht langweilige Sendeminuten.

Dazwischen zeigt der Film den Kampf des Normalbürgers mit der Langeweile. „Ich hasse Leute, die sich wiederholen, solche Leute hasse ich“; einen anderen treiben die „Sonntagnachmittage, wenn nichts im Fernsehen kommt“, schon mal zum Bungee-Springen.

Mit den blanken Füßen auf dem Tisch, in Richtung Kamera gestreckt, plaudert ein älteres Paar über das schlechte Gewissen, das einen beim Nichtstun überkommt. Ein Langeweile-Experte erklärt das mit puritanischer Arbeitsethik, entgegen der Mittelmeermentalität, die das Nichtstun kultiviert habe. Ein anderer spricht vom Leben im Dauerrausch: Arbeits-, Kauf-, Drogen-, Fernsehrausch – Rauschentzug bedeutet Qual – eben Langeweile. Schlimmer noch: Langeweile kann zu Selbstreflexion führen, und die führt oft genug ins Nichts. Dagegen helfen Profis, die ihr Geld mit solchen Urlaubern verdienen, die – ohne Arbeit, TV und Stammkneipe – der Freizeit hilflos ausgeliefert sind: Ein Freizeitparkbetreiber und eine Animateurin plaudern über ihre Jobs.

Rücksichtslos fassen die Autoren ihren Beitrag in lange Einstellungen, zeigen minutenlang, per Zeitraffer, die gnadenlose Kreismechanik der Vergnügungsparks, schließlich sogar eine Stubenfliege beim Putzen und beim Fliegen. Siehe und staune: Das ist spannender als alle heißen Preise und lauen Spielshows zusammen.

Aber vielleicht ist es am Ende gut, daß es diese öde Freizeitindustrie doch gibt, denn Müßiggang kann aller Laster Anfang sein, wenigstens hierzulande. Zu Wort kommen auch jugendliche Plattenbautenbewohner, die von der Ödnis in ihrem Rostocker Ghetto berichten. Besonders sonntags, wenn der Club zu hat „und die Bullen uns überall vertreiben“. Da hilft nur eins: „So 'ne Prügelei bringt Abwechslung.“ Oliver Rahayel