Strom kommt aus der Einsparung

In Saarbrücken wird seit Jahren in billige Negawatt investiert / Die Bayernwerke geben dagegen ihr Geld konventionell für teure Megawatt aus  ■ Von Ulrike Fokken

Berlin (taz) – Wer in Saarbrücken einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine kauft, bekommt von den Stadtwerken Geld dafür. Voraussetzung: Das neue Gerät frißt deutlich weniger Strom als sein Vorgänger. Berater tingeln durch die Haushalte, versprechen energiesparenden BürgerInnen Prämien und schrauben auch schon mal sparsame Glühbirnen in ihre Lampen. Außerdem unterstützen sie den privaten Bau von Solaranlagen durch günstige Kredite. Und bei einer Überkapazität der alternativen Stromerzeuger zahlt die städtische Konkurrenz auch noch Höchstpreise für jedes ins Netz eingespeiste Kilowatt.

Was sich im ersten Moment wie das Programm von ökologischen Idealisten anhört, ist in Saarbrücken scharf kalkulierte Energiepolitik. Für die Stadt ist es nämlich weitaus günstiger, den Verbrauchern Geld für Stromeinsparungen zu zahlen, als in Zukunft fehlende Megawatt durch den Neubau eines Kraftwerks bereitzustellen. Das war bei einem Großversuch 1989 nachgewiesen worden. Seither wurden rund 2 Millionen Mark für Prämien und 30 Millionen Mark für verbilligte Darlehen ausgegeben. Ergebnis: Saarbrücken brauchte 1991 nur 1.570 Megawatt Kraftwerkskapazität; 1980 waren es noch 1.870 Megawatt gewesen. Der CO2-Ausstoß der Großstadt konnte um ingesamt 15 Prozent gesenkt werden.

Hätten die Stadtwerke für die eingesparten 300 Megawatt ein Kraftwerk bauen müssen, wäre dies wesentlich teurer gekommen. Ein Kilowatt Kraftwerkskapazität kostet bei einem Neubau heute schon über 3.000 Mark, man hätte also rund 1 Milliarde Mark investieren müssen.

Und weil es so gut geklappt hat, wollen die Stadtwerke bis 1995 weitere 30 Millionen Mark investieren. Dann soll Saarbrücken mit 1.400 MW Kraftwerkskapazität im Jahr auskommen. Um den Stromverbrauch gleichmäßiger über den Tag zu verteilen und so die Diskrepanz zwischen Verbrauchsspitzen an Wochentagen und Verbrauchstälern an Wochenenden und nachts einzuebenen, hat Stadtwerkdirektor Willy Leonhardt außerdem einen zeitlich variablen Stromtarif eingeführt. Fehlende Kapazitäten sollen in Zukunft nur noch aus Blockheizkraftwerken und alternativen Energieanlagen kommen. Siggi Petto, Pressesprecherin der Stadtwerke, faßt den Charme des Unternehmenskonzepts griffig zusammen: „Es rechnet sich betriebswirtschaftlich und zeigt sich volkswirtschaftlich verantwortlich.“ Aber die saarländische Landesregierung spielt blind: Sie setzt auf den Bau eines neuen Kohlekraftwerks.

Least cost planning kommt aus den USA

Die in Saarbrücken seit einigen Jahren verfolgte Idee kommt ursprünglich aus den USA. Dort ist sie als Least cost planning (LCP) bekannt geworden. Der amerikanische Physiker Amory Lovins hatte nachgewiesen, daß es für Energieversorgungsunternehmen (EVU) betriebswirtschaftlich günstiger ist, in die Stromvermeidung zu investieren, als die drohende Energieknappheit durch den Bau neuer Kraftwerke oder den Ausbau bereits bestehender Meiler aufzufangen. Die so erzeugten „Negawatt“ kommen den Stromkonzernen in Form höherer Gewinne zugute: der Negawatt- Markt hat sich in den USA mittlerweile zu einem Milliardengeschäft entwickelt.

Für Haushalte und industrielle Großkunden rechnet sich LCP durch deutlich niedrigere Stromrechnungen. Insbesondere für viele Firmen in Deutschland dürfte eine Strompreissenkung von großem Interesse sein, weil die Megawatt hierzulande teurer sind als in den meisten anderen europäischen Ländern. Und auch die Umwelt profitiert. Investitionen in Negawatt verhindern nicht nur den Bau neuer Kraftwerke, sondern verringern auch den Einsatz von Rohstoffen und den Ausstoß des Klimakillers CO2.

In Bayern baut man lieber Dampfmaschinen

In einer Studie für die Stadt Erlangen kommt das Institut für Systemforschung in Hannover zu dem gleichen Schluß. Die Forscher zeigen, daß mit der geplanten Investitionssumme von über 2 Milliarden Mark für einen dritten Block im Kohlekraftwerk Franken II nicht nur stromsparende Maßnahmen finanziert werden könnten und damit das neue Kraftwerk überflüssig wäre. Sogar die beiden alten Kraftwerksblöcke könnten ebenfalls dichtgemacht werden.

Aber die GFA, ein Tochterunternehmen der Bayernwerke, mag sich nicht von alten Hüten trennen. Sie begründet das Bauvorhaben mit einem Strombedarf von 1.000 MW in der Region bis zum Jahr 2000. Schon jetzt sei der Zuwachs größer, als noch vor einiger Zeit prognostiziert. Glaubt man dem Vorstandsmitglied der GFA, Josef Rieder, so ist mittlerweile sogar „die Versorgungssicherheit gefährdet“. Außerdem sei der neue Kraftwerksblock umweltfreundlich, da er moderner und somit seine Auslastung größer sei, behautet er. Sollte nämlich die Prognose wider Erwarten falsch sein, so könnte zumindest der neue Block die Arbeit eines alten übernehmen und wäre laut Pressesprecher Mühlberger „ein Gewinn für die Ökologie“.

Der in der Rezession sinkende Stromverbrauch tut ein übriges zur Stützung der Hannoveraner Studie: Die Bayernwerke haben inzwischen nicht zu wenig, sondern zu viel Kapazitäten. Dennoch wird das Münchener Unternehmen wohl an den Plänen für den Kraftwerkskoloß festhalten. Josef Rieder geht jedenfalls davon aus, daß „wir bei privaten Haushalten ohnehin keinen Rückgang beim Stromverbrauch verzeichnen werden“.

Und wenn in Franken dann eines Tages doch mehr Strom als benötigt erzeugt wird, läßt sich dieser sicherlich noch lukrativ in die neuen Bundesländer oder ins Ausland verkaufen. In Bayern zählen exportfreundliche Megawatt noch mehr als umweltfreundliche Negawatt.