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Die Ethik der Schweinepest

Landwirtschaftsminister Jochen Borchert räumt in Brüssel deutsche Versäumnisse ein  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Der Minister hatte sich stark verändert. Noch am Vormittag hatte er seine Bauern in ihrem Protest gegen die untragbaren Auflagen der Brüsseler Bürokraten bestärkt: Hunderttausende gesunder Schweine sollen wegen ein paar kranker Schweine abgeschlachtet und verscharrt werden. „Ein Irrsinn“, hatte der gewettert. Er und seine Bauern würden das nicht hinnehmen, kündigte er an.

Am Nachmittag in Brüssel war die Angelegenheit weit weniger eindeutig. Der Minister sah gequält aus, als er sich um die Fragen der Journalisten herumwand. In einer funktionierenden Demokratie hätte sich die Szene in einem Parlament abgespielt. In Brüssel finden solche aktuellen Stunden allenfalls im Presseraum der nationalen Vertretungen statt. Und so könnte dieser Dienstagnachmittag als Sternstunde des parlamentarischen Journalismus in die EU-Annalen eingehen.

Es sei richtig, räumte Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert ein, daß die deutschen Behörden bei der Bekämpfung der Seuche Fehler gemacht hätten. Es sei richtig, daß es Kompetenzschwierigkeiten zwischen den Gesundheitsämtern der Länder gegeben habe. Es sei auch richtig, daß die deutschen Gesundheitsvorschriften nicht verhindern konnten, daß noch zwei verseuchte Ferkel nach Belgien geliefert wurden, und daß selbst nach Verschärfung der Kontrollen in den letzten Tagen weitere Fälle von Schweinepest aufgetreten seien. Und dann brauchte der Minister noch etwas länger und noch ein paar Zwischensätze mehr, um schließlich einzugestehen, daß er selbst dem EU-Beschluß zugestimmt habe, wegen der Ausbreitungsgefahr der Schweinepest zehn Landkreise zu Sperrgebieten zu erklären und die Tiere in die Abdeckerei zu schicken. „Wir haben das akzeptiert“, sagte er, „weil es besser ist als eine Ausfuhrsperre über ganz Deutschland, wie das die anderen wollten.“

Rund 250.000 gesunde Schweine sollen in den nächsten zwei Wochen geschlachtet und vernichtet werden. Die Bauern bekommen von der Bundesregierung eine Entschädigung, die lediglich fünf Prozent unter dem Marktpreis liegt. Daß sie trotzdem die EU verfluchen und Straßen blockieren hat nach Einschätzung des Ministers „ethische Gründe“. Zur Bekräftigung der ethischen Motive der Massentierhälter erzählte Borchert, daß auch der Bischof von Münster die EU-Maßnahmen für „völlig unvertretbar“ halte.

Offen blieb allerdings, wie weit der Bischof mit EU-Maßnahmen früherer Zeiten vertraut ist. Als vor drei Jahren eine ähnliche Schweinepest in Belgien ausbrach, bestand auch die deutsche Regierung auf drastischen Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher. Damals wurden ebenfalls ganze Landkreise zu Sperrgebieten erklärt und die Tiere vernichtet. Begründet wurde die flächendeckende Schlachtaktion damit, daß in den EU-Ländern die Tiere üblicherweise zu weit entfernt liegenden Schlachthöfen transportiert werden und deshalb die Seuchengefahr auch in den angrenzenden Landkreisen gegeben sei.

Damals äußerte die belgische Regierung den Verdacht, daß es den Nachbarländern vielleicht nicht bloß um den Schutz der Verbraucher, sondern auch um Marktanteile gehen könnte. Aber das ist das Gesetz der EU, daß die gemeinsame Sorge um die Bürger sich stets mit dem Kampf um nationale Marktanteile vermischt und man nie so eindeutig sagen kann, welche Motive überwiegen.

Bundeslandwirtschaftsminister Borchert manövriert sich zunehmend in gefährliches Fahrwasser. Die Maßnahmen seien in Deutschland zur Zeit nicht durchsetzbar, ließ er Brüssel wissen. Deshalb müßten sie abgemildert werden. Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Wochen, daß Borchert den Bauernzorn benutzt, um in Brüssel gegen Beschlüsse zu Felde zu ziehen, die er selbst unterschrieben hat. Vor kurzem ging es um Flächenstillegungen in Mecklenburg- Vorpommern, eine Geschichte, die noch lange nicht ausgestanden ist.

In beiden Fällen ist die Kritik an der Sturheit der EU-Institutionen durchaus verständlich. In beiden Fällen ist das Recht auf seiten der EU, und Borcherts Konfrontationskurs mag den Bauern gefallen. Lösungen werden dadurch aber in der Regel sehr teuer.

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