„Die Sozialdemokratie soll regieren“

SPD-Parteitag bestätigt par excellence die Tristesse der Demokratie / Streit um Lauschangriff und Blauhelm-Einsatz verpufft / Zentrales Thema ist die Erwerbslosigkeit  ■ Aus Wiesbaden Tissy Bruns

Grau ist die Farbe der Demokratie. Aber wer von Farben etwas versteht, der weiß, daß ein gutes Grau nur zustandekommt, wenn dem Schwarzweiß mutig andere Farben beigemischt werden. Zum Beispiel rot. Das Bild, das Hans- Ulrich Klose dem Parteitag nahebringen will, wird optisch kräftig unterstützt. Grau in grau prangt an der Stirnwand des Saales das Parteitagsmotto, ein Kasten mit dem Kürzel SPD ziert als roter Flecken. Trotzdem hören die Delegierten vom Vorsitzenden der Bundestagsfraktion derlei nur ungern. Klose erinnert an schlechtere Zeiten, an den Asylkompromiß, an faule Kompromisse. Noch dazu entzog sich ausgerechnet Klose dem allgemeinen Sog zum innerparteilichen Kompromiß, den Scharping seiner Partei verordnet hat, um nach der nächsten Bundestagswahl (mit-)regieren zu können.

Dabei bestätigt der Parteitag in Wiesbaden die latente Tristesse der Demokratie geradezu triumphal. Wo bleibt der Streit um Blauhelme und Lauschangriff, den beiden Themen, mit denen die Union die SPD ähnlich vor sich hertreiben wollte wie beim Asyl? Er verpufft gemächlich in den kleineren Räumen der Rhein-Main-Halle. Parteivorstand und Parteirat hatten schon vor Parteitagsbeginn die Restprobleme beim wirtschaftspolitischen Leitantrag abgeräumt. Und am Dienstag, vor den eigentlichen Debatten des Parteitags, diskutierten Delegierte und Gäste in Foren über die drei Leitanträge, die nichts zu beschließen hatten.

Hätten die Teilnehmer des Forums zur „Öffentlichen Sicherheit“ am Ende die Hände heben müssen, als nach dreistündiger Diskussion endlich die Rede auf den umstrittenen Lauschangriff kam, der Ausgang wäre zumindest offen gewesen. Klaus Traube, einst Opfer einer Attacke dieser Art und Delegierter in Wiesbaden, hatte mit seiner Mahnung sicher die Mehrheit im Saal hinter sich. Als Traube daran erinnert, daß auch beim Asylkompromiß ein Paket versprochen worden sei, geht ein kleiner Stoßseufzer durch die Reihen. Der Parteichef kennt dieses Leiden genau: Das eigentliche Debakel beim Asyl sei gewesen, daß bei der Asylrechtsänderung die Einwanderung auf der Strecke geblieben sei. Der letzte Schliff am Antrag verstärkt deshalb noch einmal, daß der große Lauschangriff für die SPD nur im Kontext mit anderen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung in Frage kommt.

Ob die Delegierten daran glauben, darauf kommt es in Wiesbaden weniger an als darauf, daß sie es glauben wollen. Denn der Auftakt des Parteitags, die Rede des Parteivorsitzenden und die Reaktion der Delegierten, hatten die eigentliche Marschroute deutlich gemacht. Das zentrale Thema der SPD ist die Arbeitslosigkeit, „eine gerechte Gesellschaft, eine starke Wirtschaft, ein modernes Deutschland“, wie das Parteitagsmotto verheißt. Daß die SPD gegen die Union nur auf diesem Feld ankommen kann, wissen auch die Delegierten, die die SPD bei Blauhelmen und innerer Sicherheit auf Abwegen sehen. „Über den Asylkompromiß regen sich viele auf, sie sind aber auch froh, daß wir es gemacht haben“, so Klose unangenehm offen, denn nun sei das Thema entschärft.

Am Dienstag abend, der Vorsitzende hat geredet, alle Beschlüsse stehen noch bevor, feiert der Parteitag traditionsgemäß. Unter den Delegierten herrscht ungeteilte Freude: Mit Scharping haben sie wieder einen, der in die Regierung drängt. Darauf, und daß die SPD einfach wieder hoffen will, beruht die durchschlagende Wirkung der Parteitagsregie. Der traditionsreiche linke Frankfurter Kreis hatte sich in Wiesbaden noch einmal zusammengesetzt, um darüber zu beraten, ob die linken Wirtschaftsanträge als Alternative eingebracht werden sollen. Besser nicht, befand eine unklare Mehrheit. Schließlich hatte der Parteivorstand einzelne Formulierungen der Linken übernommen. Der federführende Parteipräside Oskar Lafontaine hatte übrigens auch etwas draufgeben müssen. Daß Löhne und Produktivität nicht nur in den neuen Ländern voneinander abhängen, sondern überall, das hatten Delegierte aus dem Osten erfolgreich durchgesetzt. Die rechten Seeheimer wiederum jammerten zwar anhaltend darüber, daß der BlauhelmBeschluß nicht weit genug ginge. Aber daß auch von dieser Seite nicht ernsthaft auf eine andere Position gedrungen wird, stand schon vor dem Parteitag fest.

Statt des alternativen Entwurfs brachte die Partei-Linke also die bescheidene Anfrage ein, warum Lafontaine mit seinem Antrag nicht pünktlich gewesen sei – was Oskar, überhaupt gut in Form, mit dem Verweis auf die breite Diskussion konterte.

Die Seeheimer verlegten ihre Unzufriedenheit hauptsächlich auf ein anderes Feld. Fünf stellvertretende Vorsitzende, Pfusch mit der Satzung, nur damit Herta Däubler- Gmelin und Heidi Wieczorek- Zeul nicht gegeneinander kandidieren, das Thema konnte immerhin für begrenzten Streit herhalten, wenn man jeden großen meiden mußte. Doch als der wirkliche Favorit für Beschlüsse außerhalb der geplanten Regie galt am Mittwoch nur die Frage der Parteibeiträge. Die Delegierten hatten ihren Vorsitzenden verstanden, der ganz an den Anfang seiner Rede die Bitte gestellt hatte, „daß uns bei jeder einzelnen Entscheidung bewußt bleibt, daß wir hier nicht wortreiche und folgenlose Oppositionspolitik formulieren, sondern die Grundlagen dafür legen, daß die Sozialdemokratie in Deutschland regieren kann und soll.“