Blut und Wasser

■ Kampnagel: Premiere von Yoko Tawadas „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt“ Kampnagel

Vier Menschen und eine Tote finden sich zu einem Ritual zusammen. Eine Frau will die Leiche ihrer Schwester nach altem Brauch waschen. Yoko Tawada, seit elf Jahren in Hamburg lebende Autorin aus Japan, greift in ihrem ersten, für den Steirischen Herbst entstandenen Stück Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt auf die Thematik des „Mugon-No“-Theaters zurück: Die Tote, hier durch die Stimme des Übersetzers dargestellt, berichtet von den letzten Geschehnissen vor dem Mord. Sie läßt ihre zwei Geschwister, sowie einen Nachbarn und den Übersetzer zusammenkommen. Sie reden in poetischen, oft Logik brechenden, assoziativen Dialogen über die Tote und über ihr eigenes Dasein im Spannungsfeld zwischen Natur menschlicher Ordnung.

Yoko Tawada, zwischen zwei Sprachen und Kulturen lebend, thematisiert in ihrem grandiosen, poetisch-vielfältigem Stück den Übergang, den Zwischenraum: Zwischen Leben und Tod, Tier und Mensch, Logik und Un-Sinn, zwischen den Sprachen. Element des Stückes ist das Wasser, der Fluß, die Bewegung. Luise Czerwonatis Bühne besteht aus den Überresten von (durch Wasser?) abgetragenen Ziegelmauern, der Boden aus mit Blut und Wasser getränkten Stoffen. An der Rückwand befinden sich sieben Tiermasken, darunter die Kranichmaske, die immer dann erstrahlt, wenn die Tote durch den Mund des Übersetzers spricht.

Der blinde Übersetzer (Jörg Pankmin) stiftet als Stellvertreter der symbolischen/sprachlichen Ordnung, in diesem Raum eher Unordnung und Confusion. Ein Nachbar (Ralf Kober), der immer alles beobachtet hat und nach Polizei ruft, mischt sich als Repräsentant der gesellschaftlichen Ordnung ein. Er maßt sich eine Vaterrolle an und wirkt dabei nur komisch.

Schließlich haben die Geschwister beide Ordnungen durchbrochen: Die Schwester (Angelika Fink), die Mörderin, reinigt die von Schrift überzogene Leiche bis die Tote am Ende aufsteht. Der Bruder (Wolfgang Mondon) schwankt zwischen Tierwelt und Menschen.

Regisseur Ernst Binder siedelt die Figuren zwischen Realismus und Künstlichkeit an. In der sonst bewußt bewegungsarmen Inszenierung läßt er zur Musik von F.M. Einheit „verfremdete Wasserklänge und dumpfe Rhythmen“ zwei Tänzer das Ritual begleiten. Weißgeschminkt, also mit einem toten Körper überzogen, passen sie sich in kranichhaften Bewegungen in dieses Kunstwerk ein. Wie der Text vielschichtig mit verschiedenen Bedeutungsebenen spielt, liefern sie als Pendant eine weitere optische Ebene zu den fünf Figuren. Binder schafft ein sinnliches Erlebnis, das bei allen interpretatorischen Möglichkeiten vorrangig die Freude an der Poetik der Sprache, an Bewegung und mystischer Atmosphäre freisetzt.Niels Grevsen