Nur im Notfall in die Klinik

■ Gut ein Prozent aller Berliner Kinder kommt zu Hause zur Welt / Kontinuierliche Betreuung durch die Hebamme ist wichtig / Frauenarzt ist für den Notfall dabei

Natürlich habe sie Angst gehabt, sagt Gabi und lacht. „Aber nicht davor, daß es zu Hause passiert, sondern vor der Geburt selbst.“ Nachdem ihre Freundin ihr Kind zu Hause zur Welt gebracht hatte, stand für die 34jährige fest: „Sollte ich jemals ein Kind bekommen, dann werde ich es auch zu Hause kriegen.“ Vor neun Wochen war es soweit: Katharina kam in der Kreuzberger Wohngemeinschaft ihrer Mutter zur Welt. Dabei waren nicht nur die Hebamme und der Vater, auch Gabis Freundinnen und deren Töchter feuerten sie beim Pressen an. Doch neben den bekannten Gesichtern war die vertraute Umgebung wichtig: „Mein Zimmer, mein Bett und drumherum alles so, wie ich es will, das hat mir auch ein sicheres Gefühl gegeben.“

Dieses Gefühl sei das Entscheidende bei einer Hausgeburt, meint Sylvia Weinhold. Seit 15 Jahren bringt sie, wie inzwischen gut 30 andere Hebammen in Berlin, Kinder zu Hause zur Welt: „Die Frau muß wirklich wollen, sie braucht das Gefühl, daß sie das kann und die Kraft dazu hat.“ Wichtig sei außerdem die kontinuierliche Betreuung durch die Hebamme. Sie sollte neben der Geburt einen Teil der Vorsorge, und, wenn möglich, den Geburtsvorbereitungskurs und die Betreuung im Wochenbett machen. „Zunächst muß ich die Frau kennen und einschätzen lernen“, sagt die Hebamme, die ihre jetzt 14jährige Tochter auch zu Hause geboren hat. „Bei der Geburt dann bin ich wirklich nur für diese eine Frau da und gehe erst nach Hause, wenn das Kind geboren ist, und nicht, wenn meine Schicht zu Ende ist.“

Hausgeburt: Nicht das Richtige für jede Frau

Schwierigkeiten während der Geburt kündigten sich in der Regel rechtzeitig an, sagt Sylvia Weinhold. Eine normale Geburt zu Hause sei kein Problem, aber nicht das Richtige für jede Frau: „Viele brauchen die Klinik und das Gefühl, einen Teil der Geburtsarbeit und die Verantwortung abgeben zu könnnen.“ Auch medizinische Gründe können gegen eine Hausgeburt sprechen: Wenn das Kind zu früh kommt oder quer liegt, die Mutter an Bluthochdruck leidet oder zuckerkrank ist.

Nach einem Anstieg Anfang der Achtziger hat sich der Anteil der Hausgeburten in Berlin bei gut einem Prozent aller Geburten eingependelt. 1991 kamen in Westberlin 267 Kinder ohne Kachelambiente und grelles OP-Licht zur Welt, im Ostteil der Stadt 89. Zehn Jahre früher waren es im Westteil noch 321, obwohl die Gesamtzahl der Geburten um fast 3.000 niedriger war. In der DDR gab es keine Hausgeburten. Der Rückgang liege einerseits daran, daß es jetzt Alternativen wie das Geburtshaus gebe, vermutet Sylvia Weinhold. Aber auch die Atmosphäre in den Kliniken habe sich verändert.

Nur ein Gynäkologe führt Hausgeburten durch

Sylvia Weinhold führt die Geburten alleine durch. Einige ihrer Kreuzberger Kolleginnen arbeiten im Team mit einem Frauenarzt. Winfried Reuter ist der einzige Gynäkologe in Berlin, der Hausgeburten betreut. Er ist bei der Geburt dabei, hält sich aber im Hintergrund. „Erst wenn Schulmedizin gefragt ist, setzt meine Aufgabe ein.“ Dafür ist er gut ausgerüstet: Neben dem üblichen Herzton-Wehenschreiber, den auch jede Hebamme einsetzt, hat er eine Saugglocke, Zange und Sauerstoffgerät, Notfallinstrumente und die kliniküblichen Medikamente dabei. Nur Operationen wie Kaiserschnitte kann der Arzt, der lange Zeit im Urban-Krankenhaus gearbeitet hat, zu Hause nicht durchführen. Im Notfall, wenn beispielsweise die Herztöne des Kindes nicht stimmen, ruft er die Feuerwehr und saust mit den Frauen ins nächste Krankenhaus.

Sylvia Weinhold wechselt auch in weniger bedrohlichen Situationen in die Klinik: Wenn zwölf Stunden nach dem Blasensprung keine Wehen eingesetzt haben, bei Wehenschwäche mit Geburtsstillstand oder wenn die Mutter nach der Geburt blutet — Fälle, die Winfried Reuter noch zu Hause behandeln kann. Doch der Ernstfall ist selten: Von knapp 150 Geburten im Jahr bricht Reuters Team zehn Prozent ab, etwa dreimal liegt ein akuter Notfall vor.

Wegen dieser Notfälle lehnt die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie Hausgeburten „strikt ab“ und wirft den BefürworterInnen, Eltern und GeburtshelferInnen, Vernachlässigung des kindlichen Sicherheitsbedürfnisses vor. Diesen Vorwurf weisen nicht nur Betroffene zurück. Auch Ulrich Pape-Grupe, niedergelassener Gynäkologe und Vorstandsmitglied der Berliner Ärztekammer, hält ihn für unzulässig. „Man muß beachten, daß es sich meist um sehr motivierte Frauen und um Hebammen handelt, die in der Regel intensiver betreuen“, sagt er. Dennoch empfiehlt er ambulante Geburten im Krankenhaus, bei denen die Frauen meist nach drei Stunden nach Hause gehen können, für den Notfall jedoch Kinderintensivabteilungen bereitstehen. Eine ambulante Geburt wäre für Gabi keine Möglichkeit gewesen. Sie hat eine „ziemliche Abneigung gegen Krankenhäuser“ und wollte nur im Notfall dorthin. Bei ihr ist alles glattgegangen. Um sechs Uhr morgens war Katharina da. Nach kurzer Zeit hat die Mutter mit Hilfe der Freundinnen geduscht, die Hebamme das Kind gewaschen und gewickelt. Dann haben sich die Eltern mit der Tochter ins Bett gelegt; im Nebenzimmer, bei offener Tür, haben die Freundinnen gefrühstückt. Sabine am Orde