: Die sanfte Art, Geschlechterfragen zu stellen
■ „Ernst Ernst“ – Annette Klar und Martin Schurr vertanzen Jandl-Gedichte
Du kennen Jandl? Dann du werden haben vielen Spaßen. Du mögen Ausdruckstanzen? Dann du werden haben Spaßen vielleicht. Diese Fragen werden natürlich nicht gestellt in der neuesten Produktion der Kreuzberger Tanzfabrik, „Ernst Ernst“, einer Vertanzung (sagt man so?) von Texten des zungenbrecherisch eloquenten Wiener Dichters. Diese Fragen sind Pastiche. Die Originale klingen wie folgt: „Ich machen auf den hos ich nichts finden darinnen.“ Das sagt der Mann (Martin Schurr), der mehr sagt als die Frau (Annette Klar). Die Frau wird später entnervt auf seinen Rippen schaukeln, als es ihr zu bunt wird mit seinem ewigen Gerede. Sie wird mit ihrem Hinterteil kokett wackeln wie ein Bienchen, über ihn springen, sich biegen, gelenkig trampeln; er wird nicht aufhören zu rezitieren, in stets wechselnder Tonlage und -stärke und in wechselndem Rhythmus, mal stehend, mal sitzend, mal liegend: „fleischhimmeln hummeldaumen daumenblei bleiküsse kußtee“ und so fort. Dann hält sie ihm, plötzlich, den Mund zu. Aus.
Aus mit den Ausschnitten aus „die klinke des Pinguins“. Irgendwann im Lauf der einstündigen Aufführung, die eine Mischung aus Zwei-Personen-Varieté, Solo- Rezitation, balettösem Pas de deux und Clownszirkusnummer ist, kreuzt die Frau adrett ihre Hände vorm Geschlecht und sagt: „ich bekreuzige mich vor der kirche.“ Es ist eine sanfte Art, Geschlechterfragen zu stellen: „du gleich suchen ein dingen auf himmeln, warummen?“ Mann und Frau einigen sich: „wer einmal eulen war der wird eulen bleiben immer.“ Überhaupt verstehen sie sich letztendlich gut, die beiden. Ihre Körper machen, sich umkreisend, Quatsch zusammen. Nicht nur die Texte wechseln unaufhörlich, auch die Bewegungen. Es wird gehüpft, getrippelt, gewiegt; Eleganz, Kinderei und Ruppigkeit lösen sich ab. Madonnas obszönes Beckenschwenken wird ebenso bemüht wie das nervöse Zappeln der Irren.
Mit Hilfe zweier kleiner Overheadprojektoren, mit denen der Mann und die Frau zunächst ihre weißbeschuhten Füße beleuchten, wird das Gedicht „a komma punkt“ an die Wand geworfen. Davor erscheinen Tänzer und Tänzerin als Schatten. In der Manier einer Bachkantate singt der Mann das „a“ und reckt sich pathetisch nach oben (zu Gott?), die Frau singt es arabisiert und schwenkt eifrig ihre Hüfte im Kreis.
Klar ist: Es werden nicht allein Jandl-Texte zitiert, sondern auch Körpersprachen. Von der Schwanensee-Süße (und dazugehörigem Aufputz: Chiffonröckchen und Spitzenschuh) hat die Choereographie von Jacalyn Carley nichts. Keine Übertreibung, nicht in der Frisur, nicht in der schmucklosen Kleidung. Statt dessen fühlen wir uns an den allzunormalen Alltag erinnert: wie man jemand heimlich hinterherschleicht (und dabei erwischt wird), wie man tippt oder schrubbt, wie man liebt & lügt. Es sind die kleinen, charmanten, allzumenschlichen Schwächen, die Annette Klar und Martin Schurr vertanzen und collagieren. Das ist zwar nicht üppig, dafür unprätentiös und konzentriert. Diese Art Tanz ist sehr europäisch: unarchaisch.
Während die musikalische Untermalung (über Lautsprecher in den nüchtern beleuchteten Raum geschickte Jazz-, Pop- und Zirkusmusikverschnitte) der aufgeführten Bewegungs- und Körpertradition entspricht, übertreffen Jandls Texte sie deutlich. Wer das Archaische im Tanz vermißt, wird es in der Sprache finden. Im Blödsinn lauert Abendland. Oder umgekehrt? Die Variation auf „him anfang war das wort“ endet, nachdem der gepiesackte biblische Spruch zigmal von Schurrs Mund geknetet wurde als penetrantes, nicht enden wollendes „sch“. Ina Hartwig
„Ernst Ernst“ – Jandl-Gedichte vertanzt. Choreographie und Regie: Jacalyn Carley; Sprache und Tanz: Martin Schurr, Annette Klar. Weitere Aufführungen: 19., 20., 21., 26., 27., 28. November, jeweils 20.30 Uhr in der Tanzfabrik, Möckernstraße 68.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen