piwik no script img

Durchs DröhnlandSchwimmt sogar in Milch

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

New Wave war einmal nicht nur der Name einer Haarkosmetik-Serie. In den Achtzigern fiel so ziemlich alles darunter, was nicht ganz nach Einheitsbrei klang. Die Chameleons aus Manchester machten dicke Soundwände wie viele andere auch, lösten sich auf und wurden posthum für kulturell wertvoll erklärt. Ihr Kopf Mark Burgess hat erst jetzt, einige Jahre später, seine erste Solo-Platte gemacht. Und die ist geradezu dreist folkig geworden. Zwischen Lagerfeuergeschrammel, Mundharmonika und viel Pathos in der Stimme fließt alles so ruhig dahin, als hätte Burgess Blumen gefressen. Doch da der Kitsch meist nicht übermächtig wird, reiht er sich aus dem Stand in die erste Reihe der Neo-Folkisten ein. Und er steht gut da.

Am 20.11. um 21 Uhr im Trash, Oranienstraße 40–41, Kreuzberg

Kann man mit Sitar, Geige, Balalaika und Dudelsack Punkrock spielen? Man kann, es hört sich dann nur nicht mehr so an. Shallow Talks machen es, nehmen die gewohnten Grundmuster, aber tatsächlich erinnert nur noch die rauh schallende Stimme an 1977. Das Geflöte und Dudeldidum, das immer gerne überraschend mittendrin einsetzt, schafft einen Comic-Charakter, der dem Genre mehr als angemessen ist. Die gewagte Instrumentierung trieb die Ludwigsburger wohl auch zur Ausweitung der Grenzen – hin zu Rockabilly und Ska.

Am 20.11. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Eine wunderbar deutsche Karriere haben die Longjohnz hinter sich. Von der Oldies nachspielenden Partykapelle über den Erfolg bei diversen Nachwuchsfestivals zu lokaler Kultgefolgschaft. Dabei dürfte es dann aber auch bleiben, weil ihr Pop-Beat doch etwas saftlos dahervierviertelt. Auch der durchaus rührige Versuch mit Dance-Versionen auf der neuesten Maxi wird wohl vornehmlich in den Dorfdiscos in Weisenheim/Sand und um Weisenheim/Sand herum die Tanzböden füllen.

Am 20.11. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg

Neurosis aus der Nähe von San Francisco kamen einmal vom Grind. Der aber ist – keine Angst – nur noch rudimentär zu erkennen. Ähnlichkeiten mit den zu laut verstärkten Rülpsern von vor einigen Jahren sind nahezu ausgeschlossen. Minutenlangen Expositionen, in denen die Gitarren wie dicke Dampfer auf dem Meer schaukeln und das Thema ausgiebig vorgestellt wird, folgen heftige Eruptionen, auch der bekannte Japsgesang mit den üblichen apokalyptischen Texten. Doch die Songs brechen auch unvermittelt ab und verwandeln sich in etwas völlig anderes, das zu beschreiben hier der Platz fehlt (hier fehlt – nebenbei bemerkt – immer der Platz).

Am 20.11. um 21 Uhr mit 2Bad im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Zwar stammen X-Tal aus San Francisco, und zwar spielen sie auch irgendwie Folk, aber zu dem Hype, der die Stadt neuerdings umweht, haben sie keine Verbindungen. Musikalisch stehen sie eher den Hoboken-Bands wie Yo La Tengo nahe, was heißt, daß prinzipiell sehr wohlige Songs (hier auch mit Geige) gerne durch Rückkopplungen und Verzerrungen aufgerissen werden. Nach zwei ersten Platten, wo ihnen ihre übertriebene politische Correctness im Wege stand, haben sie sich zu einer relaxten Eleganz durchgerungen, die trotzdem nicht auf Inhalte verzichten muß. Nur kann die Musik jetzt auch für sich selbst stehen. Und das tut sie sehr, sehr souverän. Alles fließt und sprudelt, bimmelt und bammelt, daß die Herzchen hüpfen. So leicht und locker, das schwimmt sogar in Milch.

Am 21.11. um 21 Uhr im Huxley's Junior, Hasenheide 108–114, Kreuzberg

Heute ist Rave schon fast ein Schimpfwort, so schnell kann's gehen. Aber so hurtig, wie sie totgesagt ist, stirbt Musik nicht einfach. Es gibt immer noch Bands, die Rave (jetzt mal ohne irgendwelche In-Out-Image-Konnotationen) spielen, wenn es Rave denn tatsächlich gegeben hat. Natürlich sind Back To The Planet Engländer, und natürlich ist ihnen der Rhythmus am wichtigsten. Der, wo jeder sofort mitmuß. Und das kriegen sie auch hin. Dazu gibt es dann wunderschönes Elfengeträller, eine klasse Kifferorgel und die üblichen Wabergitarren. Die Band verwehrt sich zwar dagegen, so was Unmodernes wie Rave zu machen, aber die Erklärung, wo denn der Unterschied liegen möge, bleiben sie auch schuldig. Denn da ist keiner, Back To The Planet sind einfach eine sehr gute Band. Und auch heutzutage kann man noch genausogut zu Rave tanzen wie vor drei Jahren.

Am 24.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Eine ziemlich rigide Maßnahme ließ sich der algerische Staat einfallen, um die angeblich gefährlich gewordene Popularität Cheb Khaleds in seiner Heimat einzuschränken: ein totales Auftrittsverbot. Anzunehmen, daß diese Zensurmaßnahme Khaled erst recht zum Volkstribun kürte. Diese Rolle hatte er sich schon vorher erspielt, als er die algerische Tanzmusik Rai zu internationalem Erfolg führte. Was Khaled inzwischen macht, hat mit traditionellem Rai allerdings nicht mehr allzuviel zu tun. Für die Modernisierung hat er sich mit Don Was sicher den richtigen Produzenten ausgesucht. Der vergewaltigt die Vorgaben nicht, gibt ihnen zärtliche Beats bei, die trotzdem Tanzflächen füllen, und läßt Khaled sonst freie Hand beim Experimentieren. Da tauchen dann schon mal E-Gitarren oder ein Saxophon auf, während die Struktur mit ihren immer wiederkehrenden Hooklines fast an klassischen Soul erinnert. Faszinierend neben Khaleds Stimme bleibt aber vor allem die angenehm monotone Ruhe, die unter der pulsierenden Oberfläche liegt.

Am 25.11. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt

So war das schon immer bei Cassandra Complex: Da blubbert das Pathos, daß rosa Flocken an den Wänden kleben bleiben. Ihre neue Platte heißt natürlich nicht irgendwie, sondern schlicht „Sex and Death“. Billiger und kürzer war noch mehr Bedeutung und Symbolismus einfach nicht zu haben. Das sehen wir ein. Auch, daß die Musik der inzwischen in Hamburg residierenden Möchtegern- Bösewichter immer noch so vor sich hinbollert, als wäre der Plan, Baßboxen zerplatzen zu lassen, um Hörer zu erledigen. Das diesmalige allüberspannende Thema des Werkes, die Figur, die Boß Rodney Orpheus als Symptom des Zeitgeists entlarvt hat, ist der Serienkiller. Das ist aber wirklich überraschend, da wären wir nicht drauf gekommen. Da muß gleich noch mal lauter gebollert werden. Manchmal glaube ich aber auch, daß Orpheus all die Kritiken liest und sich halbtot lacht, daß ihn überhaupt jemand ernst nimmt. Aber wahrscheinlich ist er ernst, oder doch nicht? Auch egal, aber einen Rhythmusprogrammierer mit etwas mehr Phantasie sollte er sich wirklich mal zulegen. Ansonsten: Gut Boller!

Am 25.11. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen