Girlanden und vorauseilende I-Punkte

■ RAF-Prozeß gegen Eva Haule gerinnt zur Verlesung kryptischer Kürzel

Frankfurt (taz) – Die Wasserstandsmeldungen haben akustisch mehr Suggestivkraft als die Versuche der Wahrheitsfindung des 5. Strafsenats des Frankfurter Oberlandesgerichts im Verfahren gegen Eva Haule (siehe taz vom 5.11. 1993). Das Attentat auf die amerikanische Rhein-Main-Airbase am Frankfurter Flughafen, bei dem am 8. August 1985 240 Kilogramm Sprengstoff explodierten und zwei Menschen getötet wurden, verschwand auch gestern wieder hinter Aktenzeichen, Daten, kryptischen Kürzeln. Das macht das Prozeßgeschehen für die teilnehmende Öffentlichkeit zu einem undurchschaubaren, nebulösen Wortsalat der Ziffern und Stichworte aus Briefen, Zetteln, Aktenzeichen: „Bist du drauf gekommen...“, „Was mich gestern so sehr...“, „Noch mal zu Airbase...“, „Ute kommt..., „Also darüber müßten wir jetzt...“ Wer ist Ute? Zu erfahren ist, daß Eva Haule in der Nähe von Stuttgart in einer großen, sorgfältig registrierten, Wohngemeinschaft gelebt hat, daß sie RAF-Gefangenen schrieb und sie besuchte.

Die Bundesanwaltschaft stützt ihre Mordanklage vor allem auf zwei Zettel. Diese waren 1990 in der Zelle einer Mitgefangenen beschlagnahmt worden. Aus ihnen meint die Anklage eine direkte Beteiligung von Eva Haule an Planung und Tat herauslesen zu können. Die Schreibmaschine Olympia Carina, auf der die „Tatschriften“ laut Schriftgutachten und ohne Anschrift und Absender getippt wurden, sei ihr zuzuordnen. Zu einer handschriftlichen Notiz merkte eine Gutachterin an: „Die graphische Ergiebigkeit ist durch den geringen Umfang eingeschränkt.“ Ein anderes Gutachten des Bundeskriminalamtes kann den spärlichen Zeilen mehr abgewinnen, die infrarot, ultraviolett und sonst nach allen Regeln der Kunst geprüft wurden. Von „girlandigen und arkadigen Bogenzügen“ ist da die Rede, vom „vorauseilenden I-Punkt“ und von der „Auflösung vom s zum e in sein“. Am Rande ließ Pflieger wissen, daß er die beiden Zettel auch inhaltlich sorgsam „zerlegt“ und „zergliedert“ habe, um sie sodann in einer 14seitigen Anklageschrift, sozusagen Silbe für Silbe, zu würdigen. Das Ergebnis dieser akribischen Fleißarbeit allerdings behält er sich für sein Plädoyer vor. Gleichzeitig verwahrte er sich, wie immer wieder in diesem Verfahren, gegen den Vorwurf, es solle „ein vorweggenommenes Urteil“ exekutiert werden. Die Riten der Strafprozeßordnung geraten hart ans Absurde, als das Gericht die beiden so wichtig gewordenen Zettel als bekannt voraussetzt und nicht verlesen will, die Verteidigung das Gegenteil beantragt, das Gericht ablehnt und sodann Bundesanwalt Pflieger seine beiden Beweisstücke selbst verliest.

Der solchermaßen doch noch zu Gehör gebrachte harte Kern der Anklage erweist sich als kryptischer Reflexionsversuch des selbsterklärten privaten Angriffskrieges der RAF gegen die USA. Er enthält in der Quintessenz die knappe Erkenntnis, daß Kriege für gewöhnlich Tote fordern. Haule, oder wer auch immer, wirft darin imaginären Adressaten mangelnde Konsequenz vor. Es sei schon bei den Anschlägen in Ramstein und der Nato-Schule in Oberammergau schon so gewesen, daß „überhaupt keiner die Dimension der Aktionen getickt“ habe. Was, vermutet sie, auch daran gelegen haben könne, daß diese damals „nicht geklappt“ hätten. Die „Wir- Form“, deren Wahl ihr die Bundesanwaltschaft als Tatbeteiligung anrechnet, wird allerdings nicht durchgehend benutzt: „Das Kommando hätte die Kacke auch irgendwo anders abgestellt ... Hauptsache, es sind keine Frauen und Kinder da.“ Daß es ausgerechnet das „Headquarter“ getroffen habe, sei „Zufall“ gewesen. Kritik und Diskussion aus den eigenen Reihen über die Erschießung des GIs Edward Pimental in der Nacht vor der Tat empfindet sie als kontraproduktiv: „Und dann mit Pim. War es vollends am Arsch.“ Der politische Nachhilfeunterricht zur Rechtfertigung der Angriffe „gegen Zentren, Basen und Strategen“, „gegen diese Killer-Truppen“, auf die Aufmarschbasen der US Army für Einsätze in die Dritte Welt sei durch die Diskussion erschwert worden. Viele hätten auch die unausweichlich blutigen Folgen solcher Anschläge vorab nicht radikal genug eingeschätzt: „Ohne Pimental wäre es gegangen. Aber das kippte aus der Bestimmung raus.“ Dies alles vermag die intellektuellen Gedankengänge und -verschlingungen einer Debatte über Kampfformen und Manöverkritik der Gefangenen aus der RAF untereinander nur schwer zu erhellen, viele der wenigen Notizen bleiben unverständlich und wirr. Bundesanwalt Pflieger betont deshalb immer wieder, meist in hilfsweise händeringendem Tonfall, daß die Zettel ihre wahre Brisanz erst zusammen mit den Beweismitteln aus Frankreich entfalten könnten, die bisher „nicht ausgereicht“ hätten. Ein Antrag der Verteidigung auf Einstellung des Verfahrens blieb auch gestern unentschieden. Der Prozeß wird in der nächsten Woche fortgesetzt. Heide Platen