Abschied vom Hamburger Kiez

■ Eine neue Boxhalle vom Fernsehsender Premiere lockt Hamburgs Profiboxer aus dem Kiezkeller „Zur Ritze“ nach Wandsbek Von Kai Rehländer

Menschen, zumeist Männer, die diesen Weg gehen, sind in drei Kategorien einzuteilen. Die der ersten eilen hastigen Schrittes, schauen noch kurz nach links und rechts, um zu sehen, ob da niemand die Straße passiert, der sie erkennen könnte und biegen ebenso hastig von der Reeperbahn ab – sehr auf Diskretion bedacht.

Die anderen kommen zumeist in Gruppen. Locker flanierend, um nur mal zu schauen.

Die dritte Kategorie, die häufig den Weg an der Imbißbude vorbei unter dem Schild Crazy Sexy entlang schlendert und gleichgültig ob der Tatsache, daß dieser Weg auch zum Eroscenter führt, haben ein anderes Ziel. Zwischen zwei gespreizten Frauenschenkeln, die auf eine Wand gemalt sind, befindet sich eine Tür, darüber ein Schild auf dem der vieldeutige Name des Etablissements steht: Zur Ritze, der Hamburger Treffpunkt für Boxer und Boxfans.

Oben in der schlauchförmigen Kneipe läuft auf einem Monitor ein Pornofilm, dem ein paar Touristen verhuscht folgen. In der hinteren Hälfte, die mit den Konterfeis der nationalen und internationalen Boxelite dekoriert ist, wird auf einem zweiten Fernseher eine Boxübertragung gezeigt: der Kampf zwischen dem amtierenden Halbschwergewichtsweltmeister Virgil Hill und dem Argentinier Sergio Saul Merani.

Das Tresengespräch beherrscht der nächste Kampf dieses Argentiniers – die Begegnung mit Dariusz Michaliszewski, einem Boxer, der hier wohl bekannt ist: Er trainiert im Keller dieses Etablissements, in dem sich seit 1978 eine Boxhalle befindet, zusammen mit den anderen Faustkämpfern des Universum-Boxstalls. Zumindest bis gestern. Klaus-Peter Kohl, Immobilienbesitzer und Inhaber von Universum-Box-Promotion, hat zusammen mit dem Pay-TV-Sender Premiere, der die Kämpfe von Universum exklusiv ausstrahlt, einen eigenen Box-Gym eröffnet – in Wandsbek, weit ab vom Kiez. Der leicht muffige Keller im Schmuddelmilieu des Hamburger Kiezes hat offenbar ausgedient. „Ich finde das ein wenig schade“, äußert sich Dariusz Michaliszewski, „die Atmosphäre in der Ritze ist etwas besonderes.“ Die Verantwortlichen von Universum und Premiere sahen indes durch diesen Trainingsort das Klischee von der Kieznähe des Profiboxsports zu sehr bestätigt. Seitdem Klaus-Peter Kohl sich als Box-Promoter im größeren Stil engagiert, und seitdem sich der „Mercedes Benz unter den deutschen Fernsehsendern“ (Eigenwerbung von Premiere) durch den Kauf der Übertragungsrechte in diesem Metier tummelt, soll ein anderes Bild vom Boxen der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Im aseptischen Ambiente eines Industriegebietes, an einem Hinterhof an der Walddörfer Straße, liegt nun der gestern eröffnete Box-Gym der beiden Partner. An der einen Wand befindet sich eine etwa 100 Personen fassende Tribüne, an der anderen Wand eine Bar mit Bierausschank. In der Mitte der vormaligen Lagerhalle der Boxring, im Hintergrund ein Basketballfeld, Fitneßmaschinen und die Sandsäcke. „Hier haben wir viel mehr Platz als in der Ritze“, freut sich Klaus-Peter Kohl, kündigt aber an, auch weiterhin am Kiez trainieren zu lassen. Im neuen Gym hat auch Co-Finanzier Premiere Möglichkeiten zu präsentieren – etwa die Publikumslokomotive für den sonnabendlichen Boxkampf in der Alsterdorfer Sporthalle, den schauboxenden Schauspieler Mickey Rourke.

„Insgesamt“, sagt Dariusz Michaliszewski, „ist es sicherlich besser, in der neuen Halle zu trainieren.“ Sein Trainer Eggehard Dagge, ehedem Boxweltmeister, mochte sich nicht äußern. Er macht sich derzeit mehr Gedanken über den schwersten Kampf in der Karriere seines Schützlings, über die Begegnung mit Sergio Saul Merani beim Kampfabend am Sonnabend. Wenn Dariusz Michalszewski diesen Gegner überzeugend schlägt, darf der in 19 Kämpfen unbesiegte gebürtige Pole um einen Weltmeisterschaftstitel kämpfen. Der in den siebziger Jahren durch Veranstaltungen wie das K.o-Festival 77 in der Ernst-Merck-Halle - ausgetragen von der Kiezgröße Wilfrid Schulz - angeschlagene Ruf von Hamburger Berufsboxern wäre gehörig aufpoliert.

Anders nämlich als über den ebenfalls am Sonnabend boxenden Bott, der im wesentlichen durch das Engagement von seinem Promoter Kohl zu einem Weltmeisterschaftskampf gekommen ist – und auch nur beim unbedeutendsten der vier Weltboxverbände – sind die Meinungen über Michaliszewski kaum geteilt. Bei Experten besteht kein Zweifel, daß der Mann, den der Ringname „Tiger“ ziert, tatsächlich einer der Schlagkräftigsten seiner Gewichtsklasse ist. Souverän konnte sich der 25jährige, der 1991 Amateur-Europameister war, in seinen bisherigen 19 Profiboxkämpfen durchsetzen. Seine Defensivarbeit, die beim Boxen so wesentliche Kunst, gegnerische Schläge zu vermeiden oder aufzufangen - eine Spezialität des deutschen Boxweltmeisters Henry Maske -, ist allerdings noch stark verbesserungswürdig. So ging er Anfang des Jahres in einem Aufbaukampf gegen den niederklassigen Amerikaner Pat Alley für kurze Zeit zu Boden. Chuck Talmani, ein Trainer, der sich ehedem einmal im Trainerstab von Mohamed Ali befand, wurde engagiert, um Michaliszewski auch in diese Feinheiten des Faustkampfes einzuweihen.

Vielleicht gibt es dann ja im kommenden Jahr ein Foto vom Weltmeister Michaliszewski in der Devotionalienecke der Ritze zu bewundern.