Phantasiedämmendes Spielzeug?

■ Vom Plastikmenü für Kinder über das pissende Hundebaby zu gekennzeichneten Legosteinen, alles industriell vorgefertigt

“Füttere Dein Hundebaby. Was passiert wenn es getrunken hat? Macht es seine Windel naß oder macht es Bäuerchen?“ Das ist kein Zitat in einem Kinderquiz, sondern ernstgemeinte Werbung auf einer Packung Kinderspielzeug der Firma Hasbro. Für die Antwort auf das Ratespiel zahlt das Kind um die 20 Mark. Dafür erhält es ein Plastikhündchen, das in einer Decke gewickelt ist, samt Schnullerflasche und Stoffwindel. Weihnachten steht vor der Tür und die Spielzeugabteilungen laufen auf Hochtouren. Industriell vorgefertigtes Spielzeug muß unter den Tannenbaum.

Die bunten Pferdchen der gleichen Firma sind ebenso unrealistisch wie die gewindelten Hunde. Sie haben überlange Mähnen und stehen mal auf Rollschuhen, mal haben sie Schleifchen und Kämmchen und dergleichen Zubehör mehr,und sind allesamt in den grellsten Neonfarben erhältlich. Das Mädchen im Nachbarhaus stellt die signalstarken Viecher mit grosser Sorgfalt gekämmt und geföhnt aufs Fensterbrett.

Wenn ihr Patenkind auf die Frage „Was wünschst du dir zu Weihnachten?“ antwortet: „Ein Breakfast“, müssen Sie schleunigst in die Fisher-Price-Abteilung zum Kindermenü rennen. Das Breakfast, in deutsch profan „Eier und Speck“, ist ganzheitlich in Plastik gehalten. Auch der Cheeseburger mit Pommes bildet naturgetreu die Pommesstäbchen des amerikanischen Mammutkonzerns nach. Bei diesem Spielchen kann das Kind die Käsescheibchen und Brötchenhälften aus Plastik kreativ aufeinanderstapeln.

Plastikeinzelstücke kann man Kindern auch in anderen Formen schenken: Lego. Die Grundausstattung kostet mindestens hundert Mark. Doch auch hier wird der Phantasie vorgegriffen. Selbst auf kleinste Details legen die Hersteller inzwischen Wert. Auf einigen Steinen ist zum Beispiel ein Brief gemalt, den der Briefträger in der Hand hält. Auf der Gartenparty mit Oma und Opa stehen auf Legosteinen gemalte Flaschen auf dem Tisch. Offenbar ist den Kindern nicht zumutbar, daß sie einfach irgendwelche Steine als Futter für die Löwen in den Käfig des Zoos werfen. Also ist auf dem Legostück Fleisch und Knochen aufgemalt. Auch das Spielzeugset mit einem Fischkutter hat Detailgetreu einen gemalten Fisch auf einem Lego im Boot.

„Das was ich als Kinderspielzeug sehe, ist eher Phantasieeinschränkend und läßt wenig Raum für eigene Ideen“, das argwöhnt zumindest ein Sozialarbeiter, der mit Kindern arbeitet. Da seine Äußerungen eher „aus dem Bauch“ kämen, möchte er nicht namentlich genannt werden. Nach seinen Beobachtungen würden Kinder meistens auf das industriell vorgefertigte Speilzeug zurückgreifen, weil sie der Meinung seien, daß dies die „richtige Welt“ sei. Das Spielzeug entspreche einem Weltbild, das die Kinder als „richtig“ annehmen. „Wenn sie selber etwas zusammenbauen, sind sie unsicher ob das in Ordnung ist“, glaubt der Sozialarbeiter. Nur sehr selbstsichere Kinder würden beim Spielen auch improvisieren. Arno Richard, Kinder- und Jugendpsychiater und Analytiker in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Zentralkrankenhauses Bremen Ost, kann nicht ohne Umschweife bejahen, daß Kinder mit dem Fertigspielzeug phantasielos werden können. „Es ist schwer zu sagen. Denn eigentlich sollte Spielzeug die Kreativität fördern. Ein Kind soll Phantasie verwirklichen.“ Dennoch ist Arno Richard skeptisch, ob die romantische Vorstellung von Holzspielzeug zum Beispiel den Wünschen der Kinder entsprechen. „Wir bestimmen, was für die Kinder wichtig ist, aber sie haben einen eigenen Begriff von Spielzeug. Das sind verschiedene Sichtweisen, da kann ich mich nie richtig festlegen“, sagt er. Seine Schwierigkeit ist vorrangig die, das der Markt die Kinder quasi verführt. „Es gibt einen Spielzeugstandard, den die Kinder haben sollen, um überhaupt mithalten zu können.“

Wie haben wir das als Kinder früher bloß gemacht? Ohne Kindermenüs, bunten Ponys, elektrischen Polizeimotorrädern? Laub und Stöcker mußten als Essensportionen herhalten. Anstelle der Ponys wurde das Meerschweinchen mit einer Babybürste gekämmt. Das schrottreife Dreirad taugte allemal dazu, um Gangster und Banditen auf weiter Flur zu verfolgen, aus voller Lunge lalülala gebrüllt, und der Glaubwürdigkeit wurde keinen Abbruch getan. Aber wie haben wir für unsere Barbiepuppen gekämpft... Die da mit dem rosa Schleifchen im Haar und dem hellblauen Spitzenkleid sollte es sein. Guck mal, Mama, ist die nicht schön?

Vivianne Agena