Im Unterschied zu den Römern

■ betr.: „Pestizid und Spitzenhäub chen“, taz vom 6.11.93

[...] Das von Frau Quistorp thematisierte Problem, die mangelhaften Möglichkeiten engagierter Gewässerschützer bei der Rechtsetzung durch die EG gegen eine starke Chemie- und Agrarlobby eine demokratische Entscheidungsbildung durchzusetzen, ist ein eminent wichtiges – wenn auch der historische Rekurs zum Untergang Roms durch bleihaltiges Trinkwasser nicht ganz korrekt ist: Erstens waren nach gängiger Hypothese vorrangig bleihaltige Gefäße für Wein und Fruchtsäfte für die Bleivergiftung ursächlich und weniger bleihaltige Trinkwasserrohre. Sie betraf daher auch vornehmlich die herrschende Schicht, die sich im Unterschied zum „gemeinen Volk“ diese wertvollen Gefäße leisten konnte, so daß sich als Erklärung für den auffälligen Nachwuchsmangel dieser Schicht die schleichende Bleivergiftung anbot. Zweitens hatte man zur damaligen Zeit überhaupt keine Vorstellung von der chronischen Giftigkeit des Bleis, so daß den „Umwelt- und VerbraucherschützerInnen“ – sofern es welche gab – weder „Schwäche“ noch „Ignoranz“ unterstellt werden muß.

Im Unterschied zur Zeit der Römer können sich allerdings die Pflanzenschutzmittelhersteller heute nicht darauf berufen, hinsichtlich der Risiken ihrer Produkte für Mensch und Umwelt unwissend zu sein. Vor der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln müssen die Hersteller den Zulassungsbehörden umfangreiche Unterlagen zum Umweltverhalten und zu den toxikologischen Eigenschaften einreichen. Die Zulassung des Pflanzenschutzmittels erfolgt, wenn die Prüfung der Unterlagen ergeben hat, daß bei ordnungsgemäßer Anwendung und Einhaltung der Auflagen keine Schädigung der Umwelt zu erwarten ist, das heißt auch keine überhöhte Konzentration im Grundwasser oder in Oberflächengewässern.

Wenn also von seiten der Pflanzenschutzmittelhersteller und der Agrarverbände auf die EG-Kommission Druck ausgeübt wird, die Beibehaltung der Trinkwassergrenzwerte für Pflanzenschutzmittel bedeuteten den Verzicht auf jeglichen chemischen Pflanzenschutz und daher den Ruin des Landwirts, so ist das Argument nur schwer nachvollziehbar. Auch die Daten aus der Gewässerüberwachung stützen diese Behauptung nicht. Die Zahl der Pflanzenschutzmittelwirkstoffe, die in überhöhten Konzentrationen gemessen werden, ist relativ gering (darunter allerdings auch zum Beispiel das bereits verbotene Atrazin), aber häufig lassen die Befunde unsachgemäße Verwendung, insbesondere im nicht-landwirtschaftlichen Bereich (Lagerplätze, Häfen) vermuten. Es besteht also der Verdacht, daß der Aufschrei der Chemie- und Agrarlobby gerade dem Schutz derjenigen dient, die mit Pflanzenschutzmitteln nicht ordnungsgemäß umgehen.

Es gibt viele Gründe, die Vorsorgewerte der EG-Trinkwasserrichtlinie zu verteidigen, der Schutz der menschlichen Gesundheit ist nur einer davon. Selbst wenn man der Ansicht der WHO folgt, daß der Mensch weit mehr vertragen kann, ohne zu erkranken, darf das kein Grund dafür sein, die Belastung der Ressourcen für die Trinkwassergewinnung mit Pflanzenschutzmitteln bis zu dieser Obergrenze zuzulassen. Bezieht man – wie beispielsweise die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins – in den Gewässerschutz den Schutz der aquatischen Lebensgemeinschaften mit ein, dann reichen für eine Reihe von Pflanzenschutzmitteln die strengen EG-Werte bei weitem noch nicht aus. Dr. Christiane Markard,

Umweltbundesamt, Berlin