Kommentar
: Wirtschaftsindustrie

■ Der Mensch als Rohstoffquelle

Gab es jemals eine Industrie ohne Handel? Auf den ersten Blick scheint es ehrenhaft, den Handel mit menschlichen Organen stoppen zu wollen. Das Problem ist jedoch, daß dieser Handel die logische und notwendige Konsequenz der gerade rasant wachsenden Transplantationsindustrie ist. Wem also das Resultat (Handel) nicht paßt, muß das Problem (wachsende Industrie) an der Wurzel angehen. Diesen Schritt will Leon Schwartzenberg allerdings nicht gehen. Sein Bericht für das Europäische Parlament zum Verbot des Organhandels ist lediglich ein Feigenblatt, mit dem er genau das legitimiert, was er zu kriminalisieren vorgibt. Zwei gegensätzliche Ziele versucht Schwartzenberg in seinem Bericht unter einen Hut zu bringen: eine drastische Erhöhung der durchgeführten Transplantationen in der EG und das Verbot des Handels mit Organen. Diese beiden Ziele lassen sich aber in der Realität nicht vereinen.

Geradezu fahrlässig verkennt Dr. Schwartzenberg die innere Systematik der von der Transplantationsmedizin selbst erzeugten „Knappheit“ menschlicher Organe. Fast sämtliche im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen zielen darauf ab, die Bedingungen der Organentnahme zu erleichtern, um dem „chronischen Mangel an Transplantaten“, wie er sagt, beizukommen. Informationskampagnen, vor allem bei Jugendlichen und mit öffentlichen Geldern bezahlt, sollen dabei helfen.

Kurz: Die Bürger sollen durch vom Staat gesponserte „Aufklärungs“kampagnen davon überzeugt werden, daß das Spenden ihrer Organe ein sozialer und solidarischer Akt ist. Und wenn sie es nicht tun, so die unterliegende Drohung, dann tragen sie persönlich die Verantwortung dafür, daß in armen Ländern Menschen gekidnappt und umgebracht werden, um die wachsende Nachfrage nach Organen zu befriedigen. Auf diese Weise wird das humane Prinzip des Schenkens in eine Zwangskooperation umgemünzt.

Die Transplantationsmedizin ist dabei, den Tod so zu behandeln wie die Reproduktionstechnologie die Geburt – die Medikalisierung und Industrialisierung des Anfangs und des Endes des Lebens. Dies wird nicht nur das Verbot des Organhandels unterlaufen, sondern auch weitreichende Auswirkungen für die Gesellschaft, für die demographische Entwicklung, die menschlichen Beziehungen sowie unser Konzept von Leben und Tod haben. Das Ergebnis wird eine reduzierte Vorstellung vom menschlichen Körper als Rohstoffquelle sein.

Bei der Debatte im Europäischen Parlament antwortete Schwartzenberg auf die Kritik der Grünen: „Aber Sie haben eine völlig andere Vorstellung von Medizin!“ Damit hat er recht. Wir haben auch eine andere Vorstellung von Leben und Tod. Linda Bullard

Die Autorin ist bei den Grünen im Europaparlament für Gentechnologie zuständig.