Giftgas gegen Schiiten?

■ UN prüft Berichte aus dem Südirak

Berlin (taz) – Eine Gruppe von UN-Experten überprüft seit gestern im Süden Iraks Berichte, wonach irakische Truppen Giftgas gegen Schiiten eingesetzt haben sollen. Einen Tag nachdem der UN- Sicherheitsrat am Donnerstag das Embargo gegen den Irak verlängert hatte, reiste die Gruppe gestern in das Land. Zuvor hatten die Fachleute in den Iran geflohene Iraker interviewt, die nach eigenen Angaben im Oktober irakischen Gasangriffen entkommen waren. Zwei junge Iraker berichteten den UN-Spezialisten, das 25 Kilometer nordöstlich von Basra gelegene Dorf Aloui sei am 26. September von irakischen Soldaten mit Granaten angegriffen worden. Aus den Geschossen sei „eine weiße Wolke“ entwichen. „Sie stieg über dem Dorf auf und legte sich über die Häuser“, zitierte ein britischer Journalist einen der Augenzeugen. Die Angreifer hätten Gasmasken getragen. Einwohnern, die drei Tage später zurückkehrten habe sich ein gespenstisches Szenario geboten. Bäume und Pflanzen seien gelb und verdorrt gewesen. Sämtliche Lebewesen – sogar Vögel und Wasserschlangen – wären verschwunden, jedoch hätten keine Kadaver herumgelegen. Die Geflohenen vermuteten, Soldaten hätten alle Leichen weggeschafft, um zu verhindern, daß der Einsatz von Giftgas nachgewiesen werde.

Aufgrund der geschilderten Auswirkungen vermuten die UN- Experten, daß die Iraker eine Mischung aus Nervengas und Entlaubungsmittel eingesetzt haben. Der britische Biologieprofessor Steven P.T. Rose, betonte, daß sich die Beschreibungen mit den Folgen des irakischen Giftgasangriffes auf die kurdische Stadt Halabdscha 1988 decken.

Schiitische irakische Oppositionelle überreichten den UN-Experte Kopien eines angeblich von der irakischen Armee stammenden Notizbuchs. Es enthielt handschriftliche Instruktionen für den Chemieangriff auf das Dorf.

Die irakische Armee führt seit Ende des zweiten Golfkriegs einen schleichenden Vernichtungskrieg gegen die in der südirakischen Sumpflandschaft lebenden Schiiten und von dort aus operierende Rebellen. Durch ein System neuangelegter Kanäle werden die Sümpfe langsam trockengelegt. Nach Ansicht der Leiterin der Hilfsorganisation „Amar Appeal“, der konservativen britischen Parlamentsabgeordneten Emma Nicholson, besteht die Gefahr, daß dort „600.000 Menschen Opfer eines Völkermords werden.“ Thomas Dreger