Angesichts der Ewigkeit

■ Dreieinhalb Stunden Musik von Morton Feldman im Neuen Museum Weserburg

Durch die Fensterrechtecke des Neuen Museums Weserburg sieht man die letzten Krähen zu ihren Schlafplätzen ziehen. Aber die Dämmerung macht die Fenster nicht dunkler: Mit vergehendem Tageslicht spiegelt sich die Lichtinstallation von Michel Verjux immer deutlicher in den Scheiben.

Zum Ausklang dieser Ausstellung hatte Dacapo am Sonnabend nachmittag ein Konzert organisiert, das die Musik Morton Feldmans (1926-1987) in kongeniale Beziehung zur Ausstellung setzte. Verjux zeigt, wie sich die Erscheinung einfacher Lichtkegel im Ablauf des Tages verändert; Feldmans Musik wiederum dehnt die Wahrnehmung dieser Zeit mit wenigen, aber intensiv entfalteten Klängen.

So brauchte das einzige Stück dieses Konzertes, For Christian Wolff von 1986, denn auch seine Zeit: Erst nach dreieinhalb hochkonzentrierten Stunden waren der Flötist Eberhard Blum und der Pianist Steffen Schleiermacher bei der letzten Seite der Partitur angelangt. Feldmans Musik schaffte den Beweis, daß ein so langes Stück weder langweilig noch ermüdend sein muß - im Gegenteil.

Wenige zentrale Töne der Flöte, als Intervalle oder Dreiklänge gespielt, wurden vom Pianisten mit ebenso sparsamen Klängen kontrastiert. Steffen Schleiermacher spielte dabei nicht allein den Flügel, sondern auch ein Celesta, eine Art Glockenspiel mit Klaviatur, - beides gleichzeitig, als ob es ein Instrument wäre. Dabei wurden die einzelnen Töne nicht einmal dynamisch oder klanglich sehr differenziert, auch das Tempo blieb überwiegend gleich, aber ein vertrackter Takt, nämlich neun Achtel im Wechsel mit sieben Sechzehnteln, sorgte dafür, daß nichts eintönig wurde. Und wenn dann mal die Flöte schneller wurde oder gar vier Töne wie eine Melodie immer wieder spielte: eine Sensation!

Die Komposition ist zyklisch angelegt: Die einzelnen Elemente kehren immer wieder, aber nie gleich und immer wieder neu anregend. Und irgendwann ist es, als ob die Zeit gleichzeitig stillstehen und fließen würde, und es wird gleichgültig, ob und wie man was schon mal gehört hat - der Ausblick auf die enorme Dauer schärft auch den Sinn für den Augenblick.

Auch auf die Aufmerksamkeit der HörerInnen überträgt sich das Zyklische dieser Musik: Immer wieder erklingen Celesta, Klavier und Flöte neu. Das ist auch den beiden Musiker zu verdanken, die den enormen Spannungsbogen nicht eine Sekunde unterbrachen.

Dann, irgendwann, nimmt Eberhard Blum sein Instrument endgültig von den Lippen, so als ob er es selbst nicht glauben könne, verharrt noch einen Moment. Dann ist es vorbei. Tatsächlich.

Wilfried Wiemer