Im Dickicht der Stadt

■ Über Spaßparzellisten und andere Wesen am Weidedamm III

Wenn anderswo in Bremen die Straßenlampen anspringen, fällt hier die Nacht ungehindert ein: In dem von Bebauung bedrohten Parzellengebiet Weidedamm III leuchtet abends nur der Schnee. Man muß schon näher treten, um das Leben auf den überwucherten Parzellen zu entdecken: ein rostiges Törchen aufdrücken, im Vorgarten einen knurrenden Rottweiler mißachten und an eine niedrige Kate klopfen. Drinnen im Schein einer einzigen Kerze hocken dicht gedrängt zehn Leute, zu ihren Füßen vier große Hunde, dazwischen ein Tischchen, vollgestellt mit Bierdosen.

Der Maurer mit Zementkrätze

Hier wohnt Schrotter, gelernter Maurer; er trinkt gern und hat eine Zementkrätze. Vor neun Jahren zog er auf das Gelände; „In so –ner normalen KZ-Wohnung geh' ich kaputt.“ Biene (30) ist bis vor einem Jahr mit ihrem Wohnmobil von Parkplatz zu Parkplatz gezogen. Richie, arbeitsloser Maler, hat in Delmenhorst partout keine Wohnung gefunden, mit seinen Tapezierkünsten hat er sich bei den Parzellisten nützlich gemacht und will hier überwintern. Schrotter, Biene und Richie gehören zur „Spaß-Parzelle“, auch die „Alkoholikerfront“ genannt.

Anfangs krachte es öfters zwischen den Spaßparzellisten und den Ökos, der anderen großen Gruppe. Die „Spazellisten“, wie sie abgekürzt heißen, ließen ihre Dosen überall rumliegen oder becherten lautstark bis tief ihn die Nacht. Mittlerweile halten sich alle an die „ungeschriebenen Gesetze“: Daß man zum Beispiel alles unterläßt, was dem Gebiet schaden würde. Daß man die Häuser offen lassen kann und trotzdem nichts wegkommt.

Plünderer mit dicken BMWs

Mittlerweile passen auch die Spazellisten auf das Ökogebiet auf: Immer wieder ertappen sie Leute mit Schubkaren, die sich Büsche ausgraben, um sie anderswo zu verkaufen. Oder „Leute mit dicken BMWs“, die die unbewohnten Parzellen plündern. Oder Leute, die hier ihren Müll abladen. Auch mit der dritten großen BewohnerInnengruppe, den klassischen SchrebergärtnerInnen und KaisenhausbewohnerInnen lebt man in Einverständnis: „Paß doch bitte auf meinen Garten auf, dann kannst du dir auch Wasser holen“, lauten da die Abmachungen.

Die Spazellisten werden immer aktiver: Derzeit werkeln sie an einer Kneipe. Das Projetk haben sie auf einer Versammlung der Bürgerinitiative vorgestellt - zu sowas sind die Spaß-Parzellisten früher nicht gegangen. „Die anderen machen eben mehr politische Arbeit, und wir machen eben mehr was, damit die Leute zusammenkommen und nicht jeder im Winter in seiner Hütte hockt“, sagt Thomas, der seit einem Jahr hier wohnt und früher zum Beispiel in der Gastronomie an der Kegelbahn gearbeitet hat. In ihrer Kneipe übrigens will die Gruppe nur Flaschenbier verkaufen. Privat sind ihnen Flaschen allerdings zu teuer.

Für eine Kneipe gäbe es durchaus Bedarf, denn das Gemeinschaftshaus, ein verlassenes Kaisenhäuschen, hat nur Donnerstags für ein Abendesssen und Samstags geöffnet. Immerhin wohnen derzeit zwischen 150 und 200 Menschen auf dem Gelände zwischen Torfkanal und Bahndamm, schätzt Michael Schütz von der BI. Die meisten haben bewußt ein bequemeres Leben aufgeben, vielleicht ein Viertel jedoch gehöre zur Gruppe der Verarmten. In der Stadt wird viel gemunkelt über die Bewohnerschaft: Daß sich dort die Autonomen ganz Norddeutschlands träfen zum Beispiel. „Die Leute, die hier wohnen, kommen alle aus Bremen und umzu“, stellt Michael Schütz klar. Natürlich gebe es Leute, die im außerparlamentarischen Bereich Politk gemacht haben, zum Beispiel gegen Munitionszüge. Und natürlich, so ein anderer, halte man Kontakt zu anderen Besetzungsdörfern, wie dem auf dem Uni-Gelände oder zum Hüttendorf gegen die Teststrecke bei Papenburg, auch zur Hafenstraße.

Die Bürgerlichen gucken gern

Anziehungspunkt scheint das Gebiet wochenends vor allem für die normalen BürgerInnen zu sein: Ganze Karawanen schieben dann durch die Gäßchen. Da lehnt sich dann ein 70jähriger bei Michael Schütz über den Zaun und will ein bißchen über das Heilräutergärtchen plaudern. Dann wirft man auch mal einen Blick auf die Solarzelle auf dem Dach, fragt neugierig nach dem Klo (Kompostklo mit Baumrinden und Holzspänen) oder läßt sich die Binsen-Kläranlage erklären. „Die wird mit der Neutralsseife im Spülwasser sehr gut fertig“, sagt Michael Schütz, der Elektriker (mit Job). Beim Nachbarn haben sogar schon Frösche und Libellen den künstlichen Klärteich in Beschlag genommen.

„Ist das jetzt nicht ein bißchen kalt“, dürfte derzeit die häufigste Frage sein. Naja, gibt Michael Schütz zu, die „Übergangszeiten“ morgens um Viertel nach fünf oder wenn er abends von der Arbeit kommt - da hätte er es schon gern schnell mollig. Schneller jedenfalls, als es der Kohlenofen schafft. Gegen diese Fröstelhalbestunde wirft er dann eben den Heizstrahler auf der Gasflasche an.

Christine Holch