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Ein Fragezeichen nach allen Seiten

■ Die Stückwahl ist wunderbar, die Präsentation leider nur dürftig: Luigi Pirandellos „Die Riesen vom Berge“ im Maxim Gorki Theater

Die Stückwahl ist vorzüglich. In Luigi Pirandellos „Die Riesen vom Berge“ geht es um das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Eine heruntergekommene Schauspielertruppe kommt zu einer Villa, in der ein Haufen seliger Spinner wohnt. Sie haben sich der Wirklichkeit der Phantasie verschrieben. Er erfinde die Wahrheit, sagt Cotrone, der „der Zauberer“ genannt wird, und versucht den befremdeten Neuankömmlingen zu beweisen, daß die Phantasie wirklicher ist als die Wirklichkeit – wenn man ihr vertraut.

Es ist eine vergebliche Mühe, die angeblichen Künstler sind vom Quell visionärer Imagination weit entfernt. Sie wollen zweckgebunden kunsthandwerkeln, ihr Schauspiel nicht in der zauberischen Villa mit Geisteskraft zur Vollendung bringen, sondern die gemeine Menschheit damit beglücken. Die aber will es doch gar nicht sehen. Die Kunst, sagt Pirandello, ist eitel und heruntergekommen. Sie zielt auf weltliche Anerkennung statt auf Vollendung.

Also bringt Cotrone die Truppe zu den sogenannten Riesen vom Berge, einem Stamm von Industriellen, Wissenschaftlern, Marktwirtschaftlern. Dort sollen sie ihr Märchenstück aufführen. Das Ende dieses Gastspiels ist fürchterlich und vernichtend. In dieser Welt, sagt Pirandello, ist die einzige Überlebenschance des Künstlers, sich zurückzuziehen. Die Welt, in der der Autor dies geschrieben hat, ist das faschistische Italien. Pirandello ist über dem Schluß des Dramas, 1936, gestorben: Es ist ein Fragment der Resignation, was die gesellschaftliche Wirksamkeit von Kunst anbelangt – und ein flammendes Plädoyer für den Rückzug ins Reich der Phantasie.

Rolf Winkelgrund läßt das Ensemble des Maxim Gorki Theaters gar nicht erst mit den Bergriesen zusammentreffen. Ein Gedonner kündigt deren Näherkommen an, die Schauspieler drehen sich mit den Gesichtern zum Publikum, starren angstvoll ins Leere. „Ich habe Angst“, sagt eine Schauspielerin am Ende. Dann ist Schluß. Wir, das Publikum, sind die Bösen. Wirtschaftsriesen und Geisteszwerge. Aber auch die Wandertruppe macht sich ja schuldig, weil sie ihre Kunst an die Welt verkaufen will. Und die Fragwürdigkeit des weltabgewandten Phantastendaseins liegt heutzutage – trotz Pirandellos diesbezüglicher Parteilichkeit – auf der Hand. Fragezeichen nach allen Seiten. Die Stückwahl ist vorzüglich und Rolf Winkelgrunds Schlußfassung einsichtig. Weniger überzeugend ist das Bühnenbild von Eberhard Keienburg. Plattenbau- Lamellen begrenzen die Handtuchbühne des Maxim Gorki Theaters: Eine Aula ist diese Villa, kein Hort der Phantasie. Auch die Inszenierung selbst läßt jegliches zauberische Flirren schmerzlich vermissen. Der Spuk, den die Schauspielertruppe bei Cotrone erlebt (Puppen beginnen zu sprechen und zu laufen, Träume werden wahr, Stimmen und Sphärenklänge erschallen aus dem Nichts), ist hölzern und ungeschickt dargeboten – vielleicht hätte man nur zeigen sollen, wie das Phantastische wirkt, nicht wie es aussieht. Mit realistischen Mitteln, wie hohlen Megaphonstimmen, ein paar Glühlämpchen und pausbäckigen Masken, gelingt es jedenfalls nicht.

Auch schauspielerisch bleibt das Zauberstück, das hier in der deutschen Fassung von Elke Wendt- Kummer und Michael Rössner gespielt wird, leider meistenteils unerfüllt. Klaus Manchen trifft die Haltung des heiteren und seligen Phantasten Cotrone zuweilen sehr genau, verfällt dabei aber auch immer wieder in einen gutmütigen Hausmeisterton – ein Verwalter des Zauberischen, einer, dessen magischer Herr gleich kommen wird. Aber es kommt keiner.

Daniel Minetti als Graf bleibt ebenso in seiner Charge des Weichei-Ehemannes haften wie Anne- Else Paetzold als seine Gattin und Erste Schauspielerin in der ihren: eine verblühte und abgewirtschaftete Wandertruppendiva. Nicht einmal komisch ist das. Von anderem ganz zu schweigen. Auch die wirklichen Chargen bleiben unter ihren Möglichkeiten. Nur Wolfgang Hosfeld als Frauendarsteller Battaglia ist sehr pointiert tuntig und entzückend kokett.

Ist das Ensemble zu schwach, oder liegt es an Winkelgrund, daß die Bühne stets wie voller Statisten wirkt? In „Der Eismann kommt“ am Deutschen Theater waren diesem Regisseur doch gerade die Massenszenen ausgezeichnet gelungen. Und auch da wurden doch eher Typen als Charaktere gezeigt. Aber jeder spielte in winzigen Gesten seine Geschichte.

Die Dramaturgie des Maxim Gorki Theaters verläßt mit Pirandellos Stück die sicheren und an diesem Hause erprobten Pfade des Realismus. Ausstattung, Regie und Darsteller hinken noch hinterher. Was passiert, wenn Albert Hetterle als Intendant im Sommer das Haus verläßt, ist noch immer nicht ganz gewiß. Wenn der unter der Chefdramaturgie von Klaus Pierwoß eingeschlagene Weg weitergeführt werden soll – was sehr wünschenswert wäre –, braucht das Haus dringend neue Regisseure, die in der Lage sind, Klassiker der Moderne ästhetisch zu bewältigen. Gerade in diesem Sinne sind „Die Riesen vom Berge“ sehenswert. Das Ideal und die Wirklichkeit der Kunst werden hinterfragt – wenn auch in dürftiger Form. Petra Kohse

„Die Riesen vom Berge“, Regie: Rolf Winkelgrund. Mit Wolfgang Jaster, Monika Lennartz, Klaus Manchen, Daniel Minetti, Anne- Else Paetzold, Ruth Reinecke, Michael Seyfried, Dieter Wien u.a.. Nächste Aufführungen: 26.11., 3. und 9.12., Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte.

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