"Nie wurde ich so gedemütigt"

■ Der polnische Familienvater Zygmunt P. wurde als "kurdischer Schutzgelderpresser" verhaftet, von der Polizei mißhandelt und vier Wochen in U-Haft gesteckt / Polnische Botschaft fordert Entschädigung

Gestern fuhr der polnische Landmaschinenmechaniker Zygmunt P. (33) zurück in sein Dorf bei Elblag, etwa 600 Kilometer von Berlin entfernt. Seinen dreimonatigen Zwangsaufenthalt hier wird er nie vergessen, seine Geschichte erinnert ihn an die Erzählungen alter Leute in Polen über den Terror der deutschen Besatzer ab 1939. „Nie in meinem Leben bin ich so gedemütigt worden“, sagt der tief religiöse Familienvater von vier Kindern.

Sein Leidensweg begann am 18. August, wenige Stunden nachdem Zygmunt P. mit seinem Bruder in Berlin eingereist war, um hier Kinderkleidung und Medikamente für sein fünf Monate junges Baby einzukaufen. Überwältigt und zusammengeschlagen wurde er gegen 18.20 Uhr von „vier oder fünf Männern“ in der Innsbrucker Straße (Schöneberg), nachdem er in einer türkischen Imbißbude einen Kebab gekauft hatte.

Die „Männer“ warfen ihn auf den Boden, würgten ihn, traktierten seinen Kopf mit „hackenden Faustschlägen“ und schlugen ihn auf den Leib. Erst im Polizeiwagen stellte er fest, daß er nicht „Opfer eines rassistischen Angriffs“ geworden war. „Ich war sehr erleichtert und dachte, jetzt wird sich alles aufklären.“ Ein Irrtum: Zygmunt P. wurde in Handschellen auf das Polizeirevier in der Gothaer Straße gebracht. Dort konnte er sich nicht ausweisen, denn während der Schlägerei verschwand sein Reisepaß.

Die Identifizierung durch seinen Bruder genügte der Polizei nicht. Zygmunt P. wurde auf dem Revier verhört, und zwei Beamte fesselten ihn mit „Knebelketten“ an einen Stuhl und zogen die Ketten periodisch fester. Dabei fiel er kopfüber vom Stuhl und brach sich dabei einen Backenzahn heraus. Zuvor hatten Beamte seinen Rosenkranz zerrissen: „Das war eine große Erniedrigung, denn Jesus Christus und die Heilige Jungfrau sind mein Leben.“ Seine Unschuldsbeteuerungen quittierten die Beamten mit Sprüchen, wie, die „Polen“ seien „verrückt und dumm“, denen man nur „mit Gewalt“ beikommen könne.

Am 19. August wurde Zygmunt P. in eine Polizeistelle am Platz der Luftbrücke gebracht. Dort wurden ebenfalls seine Bitten um Kontaktaufnahme mit der polnischen Botschaft ignoriert. Statt dessen wurde ihm von einem russisch sprechenden Beamten ein in deutsch geschriebenes Vernehmungsprotokoll vorgelegt. Weil er inzwischen der Polizei nicht mehr traute, unterschrieb er es nicht und verlangte statt dessen einen Dolmetscher. Natürlich vergeblich.

Anschließend wurde er erneut in die Gothaer Straße gebracht und dort einem Haftrichter vorgeführt. Der erhob Anklage wegen „räuberischer Erpressung“ des Döner-Imbißbudenbesitzers und Widerstands gegen die Staatsgewalt. Bei seiner Überwältigung soll er einen Beamten in die Hand gebissen haben. „Ich habe noch niemals einen Menschen in die Hand gebissen“, sagt Zygmunt P., „auch keinen Polizisten.“

Am gleichen Tag wurde der junge Pole in das Gefängnis von Moabit gebracht und dort bis zum 15. September festgehalten. Nahezu vier Wochen brauchte die Polizei, um festzustellen, daß der Familienvater nicht vorbestraft ist und kein „kurdischer Erpresser“ sein kann. Offiziell eingestellt wurde das Verfahren am 29. September.

Aber weil der Vorwurf, einen Polizisten gebissen zu haben, immer noch im Raume stand, erhielt er die Auflage, Berlin nicht zu verlassen und sich zweimal pro Woche im Polizeiabschnitt Friesenstraße zu melden.

Von der polnischen Botschaft erhielt er für diese Zeit ein Ersatzdokument mit einem Touristenvisum bis zum 17. November. Die Meldefron endete am 10. November. Seinen Antrag, ihm während des Zwangaufenthaltes Sozialhilfe zu gewähren, lehnte das Bezirksamt Kreuzberg mit dem Hinweis ab, daß er ja „Tourist“ sei und Touristen keine Sozialhilfe bekommen. „Schöner Aufenthalt“, kommentiert Zygmunt P. Der Zwangsaufenthalt hat ihn finanziell ruiniert (3.000 Mark Schulden), ganz abgesehen von dem Verdienstausfall zu Hause.

Inzwischen hat die polnische Botschaft sich des Falls angenommen und nach Überprüfung der Seriosität von Zygmunt P. einen Protestbrief an den Polizeipräsidenten geschrieben. Die Geschichte war auch Thema der ständigen deutsch-polnischen Konsultationen in Warschau. Die Botschaft fordert eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft und den anschließenden Verdienstausfall. Von der Staatsanwaltschaft wurde inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt angestrengt. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde wird die Liga für Menschenrechte erheben. Mit dem Fall befaßt sind ebenfalls amnesty international und der polnische Sozialrat e.V. Ein ausführliches Protokoll über den Vorfall ist vom Büro der Ausländerbeauftragten Barbara John angefertigt worden.

In den letzten Monaten haben Berliner Polizisten etwa in 70 bekanntgewordenen Fällen Ausländer bei der Vernehmung vermutlich mißhandelt. In keinem Fall wurden bisher Polizisten wegen Körperverletzung im Amt verurteilt. „Die Polizei ist nicht ausländerfeindlich“, erklärte neulich Innensenator Heckelmann. Zygmunt P. ist das erste ausländische Opfer polizeilicher Gewalt, der für eine Rehabilitierung und eine Entschädigung streiten will. Der polnische Sozialrat e.V. hat dafür ein Sonderkonto eingerichtet. Anita Kugler

Polnischer Sozialrat e. V. Kto.-Nr. 67 001 5350, BLZ 100 500 00 Sparkasse Berlin. Stichwort „Zygmunt“.