Der Traum von Europa

■ Das "Europäische Zentrum für Berufsbildung" wird auf Beschluß der EU-Regierungschefs nach Thessaloniki verlegt

Humor haben sie ja. Auf einem kopierten Blättchen Papier zeigt ein Pfeil nach Saloniki, und ein einsamer Wanderer macht sich auf den Weg. 2.500 Kilometer sind es etwa bis in den makedonischen Norden Griechenlands. Aufgehängt haben den Wegweiser Mitarbeiter des „Europäischen Zentrums für Förderung der Berufsbildung“ (Cedefop), der einzigen Institution der Europäischen Union (EU) in Berlin und Deutschland. Nun soll Cedefop die weite Reise nach Thessaloniki antreten, so will es der EU-Ministerrat.

Als die Regierungschefs sich jüngst trafen, um die Europäische Union zu gründen, verteilten sie gewissermaßen nebenbei verschiedene EU-Institutionen. Für die deutschen Diplomaten muß der Verteilungspoker ziemlich überraschend gekommen sein. Was aus Verteilungsgründen gerecht sein mag – Griechenland ist noch ohne EU-Institution –, hat in der Praxis einen Haken: Das Institut in der Schöneberger Bundesallee ist die einzige der verteilten Einrichtungen, die bereits existiert. Es beschäftigt 76 Menschen aus ganz Europa. 1975 gegründet, arbeitet es bald zwanzig Jahre der EU- Kommission zu, um die berufliche Bildung auf europäischer Ebene zu fördern. Damals wurde das Europäische Zentrum in der Frontstadt angesiedelt, um zu zeigen: Berlin gehört zu Europa.

Die 76 Beschäftigten der Cedefop erfuhren von ihrem Umzug aus der Zeitung. „Niemand hat uns vorab informiert“, meinte der Direktor Ernst Piehl. Das Haus ist in heller Aufregung. Denn „im Prinzip“, so sagt Bernhard Ziech, „gehen alle mit.“ Was das bedeutet, kann der für Personal und Organisation zuständige Ziech an seinen biographischen Daten leicht zeigen: 50 Jahre alt ist der Berliner, da fällt weder ein Umzug noch ein Jobwechsel leicht. Frau und Tochter hat Ziech außerdem. Thessaloniki – „das würde bedeuten, daß Familien auf Jahre hinaus auseinandergerissen werden“, sagt er bedeutungsschwer. Wann das sein wird, weiß niemand. Ein regelrechter Umzugsbeschluß ist gar nicht gefällt. Der Ministerrat kann lediglich die Europäische Kommission darum ersuchen, „daß Thessaloniki so bald wie möglich als Sitz festgelegt wird“.

Thessaloniki ist eine schöne Stadt. „Gar nicht schlecht“ sei es da, meint Maria Tavlaridou, die am Cedefop arbeitet und nun ein Problem hat. Natürlich freut sie sich für ihre Geburtsstadt. Aber als Gewerkschafterin muß die 42jährige an das „Schicksal“ ihrer KollegInnen denken. Auch sie ist in Berlin verheiratet. „Ich würde gerne die Entscheidung selber treffen“, sagt Maria Tavlaridou.

Der Berliner Senat reagierte zurückhaltend auf die Entscheidung. Es sei „nicht mit Berlin abgesprochen gewesen“, ließ der Regierende Bürgermeister erklären. Das macht andere noch wütender. Diepgen, der immerfort betone, wie gut die CDU es mit Berlin meine, sei „der Schemel unter dem Hintern fortgetreten worden“, erklärten die Grünen gemeinschaftlich aus Brüssel und Berlin. Das Abgeordnetenhaus forderte die Europäische Kommission auf, „den spontanen und unvorbereiteten Beschluß“ kritisch zu prüfen – und zurückzuziehen.

Bei Cedefop selbst, so war nach der letzten Personalversammlung am Freitag zu erfahren, befindet man sich im „geordneten Rückzug“ – so ein Mitarbeiter. Ein Rechtsgutachten soll zwar ermitteln, ob die Regierungschefs einfach eine Institution um 2.500 Kilometer verlegen können. Aber man stellt sich schon auf die Modalitäten des Umzugs ein. Gute Tips bekommen die Cedefopler indes aus Bonn. Ein rheinischer Beamter meinte, man solle „sich in Gelassenheit üben“. So ein Umzug, das könne dauern. Christian Füller