■ Italien: Sex-Noten für Politiker und Schauspieler
: Heroen für eine Nacht

Rom (taz) – Ach, das hätten wir doch auch mal gerne im Grau der Bundesrepublik: Pornostars und Prostituierte, Gelegenheitsgeliebte und langzeitlich Entflammte, heimische Parteitagsaffären und fernöstliche Ehe-Kompensatoren, die ihren sogenannten Nachtgefährten öffentlich Noten für Potenz und Phantasie, Durchhaltekraft und Sentimentalität verleihen. Italien, das glückliche, kann auf derlei zählen – nicht nur in teuer zu erkaufenden Enthüllungsbänden einzelner Stars, sondern sozusagen zum Volkspreis in übersichtlicher Tabelle, mit Kurzkommentar. Veröffentlicht hat diesmal nicht eines der tausend Regenbogenblätter namens Novela 2000 oder Eva, sondern der nach Aufmachung und Stoßrichtung (dies im politischen Sinne, der Himmel bewahre) dem Spiegel ähnliche L'Espresso. Wobei dem Leser, zumindest dem von seiner eigenen Kultursozialisation nicht so sehr darauf vorbereiteten Ausländer, nicht nur die Freizügigkeit der Äußerung, sondern auch der Einfallsreichtum dessen, was man da alles unterbringen kann, besonders ins Auge springt.

Da erfährt der Leser umfänglich von Sandra Milo, einem mittlerweile schon etwas aus der ersten Jugend entwachsenen BH-Wunder der sechziger Jahre, daß der langjährige Sozialistenchef Bettino Craxi nicht nur „Liebe auf den ersten Blick“ war, sondern ihr auch, erstmals, „die Kultur des Kusses“ eröffnete, was offenbar stundenlang dauerte und bleibenden Eindruck hinterließ. Wahrscheinlich eine Art Exerzitien für den sonst so redefreudigen Politiker. Auch über gar nicht stattgehabte Einlassungen gibt es viel zu berichten: Moana Pozzi, nach Ilona Staller zweitbestdotierte Porno-Frau und Begründerin der „Partei der Liebe“, berichtet über die Flucht des – nahezu vollständig angekleidet schlafenden – Schauspielers Roberto Benigni, als sie mit einer Freundin über ihn herfiel. Daß er vom L'Espresso am Ende doch noch eine 4 bekam – auf der Skala zwischen 0 (rein gar nichts) bis 10 (optimal) in etwa „gerade noch ausreichend“ –, verdankt er der Fürsprache einer anderen aufstrebenden Frau des Nacktgewerbes, Milly D'Abbraccio, die ihm eine „besondere Lustigkeit und Heiterkeit beim Vögeln“ bescheinigte. Der Populärphilosoph Luciano de Crescensco („Also sprach Bellavista“) soll, wiederum nach Moana, „vom Sex schlichtweg besessen“ sein und „vom Morgen bis zum Abend vögeln wollen“, was ihm aber doch nur Note 7 („gut“) eintrug; der Grund für die Differenz zu 10 wird nicht mitgeteilt. Drusenführer Jumblatt, den die Ehefrau des Dichters Alberto Moravia, Carmen Llera, bewertete, darf sich ebenfalls der 7 erfreuen, als „einfallsreicher, gütiger, sensibler Liebhaber“. Die unermüdliche Carmen hat auch noch etwas über schon Verblichene mitzuteilen, über Klaus Kinski etwa, der von sich selbst sagte: „Ich bin der Sex“, den sie aber vor allem deshalb mochte, weil seine Lippen sie an die seiner Tochter Nastassja erinnerten.

Es fehlen auch nicht reine Durchfälle, angesiedelt zwischen 0 und 2 – Robert De Niro zum Beispiel, der wohl vor der Kamera besser ist als in Wirklichkeit –, aber auch der Fußballstar Paulo Roberto Falcao. Und natürlich sind da auch noch ein paar Politiker, die man erst erraten muß – wie beispielsweise jener Anonymus, den Moana Pozzi nur „den Chef einer Linkspartei“ nennt; der war auch im Bett so sehr mit seiner Karriere beschäftigt, daß er sie nur umarmte, die Sache aber ansonsten per Onanie erledigte.

Glückliches Italien. Vom Erdbeben der Antikorruptionsaktion „Mani pulite“, den Dynamitmorden der Mafia und dem Untergang der Altparteien zurück zur Normalität des Bettes, wenn auch des eher lotterigen. Werner Raith