■ Das Abschlußgutachten zum Fall Grams ist vorgestellt
: Der Wunsch als Vater des Gedanken

Es muß es sich wohl wie folgt zugetragen haben: Innerhalb von fünf oder sechs Sekunden schießt Wolfgang Grams zehnmal mit seiner Pistole, er erschießt dabei den Beamten Michael Newrzella, einen weiteren Polizisten verletzt er. Das ganze geschieht im Laufen. Grams selbst wird in dieser Zeit durch einen Bauchschuß und vier weitere Treffer schwer verletzt – er stürzt rücklings auf die Gleise, ohne dabei seine Waffe zu verlieren. Der Entschluß zum Suizid ist schnell gefaßt, Grams schießt sich in den Kopf.

Wem das ein bißchen zuviel an Geschehen ist für einen Zeitablauf, kaum länger als der Vorspann der täglichen Tagesschau, der möge sich die Gutachten aus Münster und Zürich vor Augen führen. Danach kann und vor allem darf es anders nicht gewesen sein. Beide Stellungnahmen räumen zwar ein, eine 100prozentige Aufklärung der Vorgänge bei der Schießerei in Bad Kleinen nicht leisten zu können. Die Indizien, heißt es, würden aber mit hoher Warscheinlichkeit einen Ablauf der Schießerei nahelegen, die eine „Fremdbeibringung“, womit der gezielte Schuß aus einer Polizeihand in den Kopf des bereits wehrlos am Boden liegenden Grams gemeint ist, ausschließen.

Der Wunsch ist der Vater des Gedanken. Die ausgewerteten Spuren sind keineswegs so eindeutig, wie die Gutachten und die darauf gestützten Aussagen der Schweriner Staatsanwaltschaft glauben machen wollen. Andere Wissenschaftler haben den Experten in Münster und Zürich bereits widersprochen. Was nach der katastrophalen Beweissicherung durch die Tatortgruppe des Bundeskriminalamtes an Spuren überhaupt noch festgehalten wurde, ist einseitig und zielstrebig in Zielrichtung „Selbstmord“ ausgewertet worden. Das vorhandene Spurenbild, wird suggeriert, lasse sich „widerspruchsfrei“ mit der Version verbinden, daß sich Grams selbst getötet hat. Das mag auch durchaus stimmen. Der Frage aber, ob sich nicht auch die andere Version – die der Tötung von Grams durch Beamte der GSG 9 – ebenso zwanglos mit den verbliebenen Indizien erklären läßt, wurde mit erheblich weniger Eifer nachgegangen.

Der Selbstmordthese widersprechen zwar noch immer die Aussage zweier Zeugen. Mit den tendenziösen Gutachten im Rücken werden wir nun zusehen dürfen, wie diese Aussagen zunehmend in Zweifel gezogen und mit den „wissenschaftlichen“ Ergebnissen konfrontiert werden. Weil gewollt, wird sich dann genauso „widerspruchsfrei“ nachweisen lassen, daß sich beide Zeugen irgendwie „subjektiv“ geirrt haben müssen. Am Ende wird sich die Version durchsetzen, die politisch gewollt wird. Die rückhaltlose Aufklärung, von Innenminister Kanther bei seinem Amtsantritt beschworen, erweist sich als Farce. Wolfgang Gast