Hahnenkampf statt Schlacht der Mafia-Titanen

■ In Rom wurden die drei berühmtesten Mafiosi einander gegenübergestellt / Oberboß Riina schwieg, Chefbuchhalter Calo schrie, Aussteiger Buscetta rezitierte

Rom (taz) – Da saßen sie nun, die drei Großen der italienischen Mafia. „Titanen“ hat die Presse sie genannt, und jeder war es wohl auch einmal auf seine Art gewesen: Der lange Zeit unumschränkte Herrscher aller sizilianischen Mafiosi, Toto Riina, zwanzig Jahre lang flüchtig, im Januar endlich erwischt, knapp 60 Jahre alt; der „Kassier“ oder auch Oberbuchhalter der Mafia und ihr agilster Resident in Rom, Pippo Calo, 67; und der berühmteste aller Aussteiger, Tommaso Buscetta, 59, extra aus den USA – wo ihn das FBI rund um die Uhr schützt – eingeflogen und nun in den Hochsicherheits- Gerichtssaal des römischen Gefängnisses gebracht. Zweck: eine Gegenüberstellung, die vor allem Riina gleich nach seiner Verhaftung energisch gefordert hatte – klein werde er alle Aussteiger machen, beweisen, daß die nur lügen würden und von hinterhältigen Ermittlern gelenkt seien.

So sehr hatte sich die Presse auf den Schlagabtausch gefreut, endlich mal was Handfestes nach all den eher weinerlichen Einlassungen der norditalienischen Schmiergeldgeber und -empfänger. Hier standen „wahre“ Männer gegeneinander, solche von der härtesten Sorte, jeder – auch Aussteiger Buscetta – für drei bis vier Dutzend, Riina gar für mehr als hundert Morde oder Mordaufträge verantwortlich.

Doch dann sah die Konfrontation ganz anders aus. Toto Riina weigerte sich, Buscetta auch nur anzusehen, geschweige denn mit ihm zu reden: „Ein unmoralischer Mensch, zu viele Frauen hat der, er steht mir zu tief.“ Dabei blieb er. Die Fernsehkameras konnten nur sein straff zur Wand gerichtetes Gesicht aufnehmen.

Währenddessen prasselten Buscettas Anklagen auf ihn nieder: „Hohes Gericht, vor Ihnen sitzt der Mann, der die Cosa Nostra zerstört hat.“ Nicht er selbst mit seinen Aussagen, die nahezu tausend Mafiosi hinter Gitter gebracht haben, sondern Riina mit „seiner Mißachtung jeglichen Unterwelt- Ehrenkodexes“: Aus einer „Sache der Ehre“, wie Buscetta die Mafia früherer Zeiten nennt, „hat er Terrorismus und Massaker gemacht“. Auch die Anschuldigung mit den Frauen bleibt nicht ohne Gegenangriff: „Klar, daß du selbst dich nicht um Frauen gekümmert hast, du warst ja dauernd damit beschäftigt, dich an die Spitze von Cosa Nostra zu bomben und andere Menschen abzuschlachten.“ Riina hebt dazu nicht einmal die Augenbrauen.

Ganz anders das Duell danach: Pippo Calo, ein Typ Herrenreiter mit grauen Schläfen – man versteht, warum er sich so erfolgreich in die guten Salons der römischen High-Society einnisten konnte –, versucht Buscetta durch dauernde Zwischenfragen aus dem Rhythmus zu bringen – bis ihm klar wird, daß der Kronzeuge gar nicht zuhört. Ein Eindruck, der sich auch so manchem alten Hasen der Mafia-Prozesse aufdrängt und der nicht leicht zu deuten ist: Früher hatte Buscetta eher stockend, nach Worten und Ausdrücken ringend berichtet, auf Fragen nur kurz geantwortet. Diesmal aber sprudelte er geradezu aus sich heraus; der Verdacht, daß da einer einen Text aufsagt, ist nur schwer zu verdrängen; auf jeden Fall ist Buscetta glänzend vorbereitet. „Das ist ein Hahnenkampf, keiner von Titanen“, murrt ein britischer Fernsehmann. Er fühlt sich um den Lohn seiner Reise nach Rom geprellt.

Fernsehen, Zeitungen und auch die versammelten Mafia-Experten der Nation waren sich einig: Riina hat ebenso endgültig verloren wie Calo. Nicht nur die Runde ging an Buscetta, er hat den ganzen Krieg gewonnen. Das nach ihm benannte „Theorem“, wonach das von Riina präsidierte Mafia-Leitorgan „Cupola“ bei allen Morden vorab gefragt werden mußte und daher für alle großen Verbrechen kollektiv schuldig ist, blieb gerade vom Leiter des Organs unwidersprochen und wird in künftigen Prozessen kaum noch angezweifelt werden.

Dennoch schien Riina das alles nicht im geringsten zu belasten. Als er sich erhebt, ganz nah an Buscetta vorbeigeht und es auch diesmal fertigbringt, seinen Erzfeind nicht einmal aus dem Augenwinkel anzusehen, gerät sogar die Presse aus dem Häuschen. „Welche Selbstdisziplin“, entfährt es der Kollegin vom italienischen Staatssender RAI. Und aus der Interpretations-Fassung gebracht werden die Mafiologen am Ende doch noch. Buscetta schreit: „Die Mafia ist am Ende, tot, aus!“ Daraufhin unterbricht Riina für einen kurzen Augenblick seine starre Haltung. Er lacht, kurz, leise, aber so, als wäre er sicher, daß dies allenfalls Buscettas – und der Ermittler – Wunschtraum ist. Werner Raith

Siehe auch Kommentar auf Seite 10