Das Motto heißt „Besitzstandswahrung“

■ In Sachsen-Anhalt sollen Ministerpräsident Werner Münch und vier weitere Westimporte in der Regierung zu Unrecht viel zu hohe Gehälter kassieren

Magdeburg (taz) – Keinem soll es schlechter gehen! Mit diesem Wahlkampfmotto sahnte Kanzler Helmut Kohl 1990 in den ostdeutschen Wahlkabinen kräftig ab. Aber auch einige Wessis haben diesen Slogan offenbar für bare Münze genommen. Aus der Opposition und in der neuesten Ausgabe des Spiegel wird Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Werner Münch (CDU) und den vier anderen Westimporten in seinem Kabinett vorgeworfen, zu Unrecht überhöhte Gehälter zu kassieren.

Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Opposition, Wolfgang Schäfer, forderte von den Politimporten aus dem Westen die Abdankung. „In der Bundesrepublik und in zahlreichen westdeutschen Ländern haben Politiker in der letzten Zeit schon wegen viel geringerer Vorwürfe den Hut genommen“, findet Schäfer.

Hintergrund des sich anbahnenden Skandals ist das Ministergesetz des Landes Sachsen-Anhalt. Danach bekommt der Ministerpräsident die Vergütungsgruppe B 11 (plus 25 Prozent) und alle Minister gleichermaßen B 11 (plus 10 Prozent). Wie es im öffentlichen Dienst der neuen Länder guter tariflicher Brauch ist, bekommen alle Regierungsmitglieder nur 80 Prozent der so errechneten Bezüge. Weil Kanzler Kohl aber vor drei Jahren versprochen hat, daß es keinem im Osten schlechter gehen soll, haben die Westimporte im Münch-Kabinett einen Anspruch auf „Besitzstandswahrung“. Das heißt, wer vorher im Westen mehr Kohle bekam, bekommt jetzt auch in Magdeburg noch einiges draufgelegt.

Die Wessis, die heute am Magdeburger Kabinettstisch sitzen, waren zuvor fast alle Abgeordnete im Bundestag, dem Europa- oder einem Landesparlament. Und neben den steuerpflichtigen Diäten aus diesem Abgeordnetenamt sollen sie auch die steuerfreie Aufwandsentschädigung und andere Kostenpauschalen in die Berechnung ihres früheren Einkommens einbezogen haben. „Das ist aber kein Einkommen, sondern nur ein Ersatz für besondere Ausgaben wie Büromieten und Mitarbeitergehälter“, ereifert sich der fraktionslose Abgeordnete Jürgen Angalbeck, der den Skandal ins Rollen brachte. Einer der Minister soll sogar, so geht in Magdeburger Politkreisen das Gerücht, seine Jahresnetzkarte der Bundesbahn mitberechnet haben, die ihm früher als Abgeordneter kostenlos zustand. Wert des Freifahrscheins: rund 10.000 Mark.

Der Vorwurf der unrechtmäßigen Bereicherung richtet sich gegen Regierungschef Münch selbst sowie gegen seine Kabinettskollegen Sozialminister Werner Schreiber (CDU), Innenminister Hartmut Perschau (CDU) und Wirtschaftsminister Horst Rehberger (FDP). „Ob auch die anderen Westminister Walter Remmers (CDU, Justiz) und Hans-Jürgen Kaesler (FDP, Bundes- und Europaangelegenheiten) bei den Mauscheleien mitgewirkt haben, soll nach Ansicht Schäfers ein Bericht des Landesrechnungshofes zeigen.

Finanzminister Wolfgang Böhmer (CDU), ein echter Ossi, hat bei einem Bericht im Finanzausschuß des Landtages die Vorwürfe nicht entkräften können, klagt Schäfer. Böhmer hat bereits angekündigt, zuviel gezahlte Bezüge seiner Westkollegen zurückzufordern, wenn sich die Vorwürfe als stichhaltig erweisen. Der Entwurf des Ministergesetzes, das wegen unklarer Formulierungen die mutmaßlichen Manipulationen in der Berechnung früherer Einkünfte erst ermöglicht, stammt übrigens aus dem Hause Böhmers. Als der Gesetzentwurf erarbeitet wurde, war dort allerdings noch ein anderer Mann Hausherr: der jetzige Ministerpräsident Werner Münch. Der hat inzwischen die Vorwürfe des unrechtmäßigen Reibachs zurückweisen lassen. „Das Ganze“, so erklärte sein Regierungssprecher Gerd Dietrich, sei „eine durch nichts bewiesene Geschmacklosigkeit“. Eberhard Löblich