Wie im Vor-Eisenbahn-Zeitalter

■ Die Fahrpläne der BSAG sind eine Zumutung für Einsteiger

Nichts gegen die BSAG! Die Bremer Straßenbahn-AG gibt sich einige Mühe, Erika Mustermann pünktlich ins Büro zu bringen und Otto Opel mit ansehnlichen Anzeigenkampagnen zum Umsteigen auf Busse und Bahnen zu überreden. Aber manchmal ist das Unternehmen so unflexibel wie der Buchhalter einer Formulardruckerei.

Unsere Geschichte beginnt im Herbst 1990. Ein Neu-Bremer und passionierter Radfahrer möchte bei Schmuddelwetter auf den ÖPNV umsteigen und greift zum BSAG- Fahrplanheft. Oh Schreck, wie soll er diesen Bleiwüsten entnehmen, wie er am Sonntagabend von Findorff zu einem Konzert in die „Glocke“ und am Montagvormittag pünktlich zu einem Termin in die Universität kommt? Ein andernorts übliches Verzeichnis aller Straßen und öffentlichen Einrichtungen mit Angabe der nächstgelegenen ÖPNV-Linie sucht der neue Kunde vergeblich. Auch der Streckennetzplan von Anno Tobak läßt nur ungefähr erahnen, wo welche Linie fährt.

Zum Glück hat der Neu-Findorffer schon mal davon gehört, daß er am besten die Linie 26 Richtung Hauptbahnhof nimmt. Aber wie kommt er von dort am schnellsten in die City? In der Rush-hour kann er ja einfach an einer der Hbf-Haltestellen warten. Aber sonntagsabends gilt der 20-Minuten-Takt – da möchte er doch lieber vorher überprüfen, ob er pünktlich ins Konzert kommt.

Vom Bahn-Kursbuch ist er gewöhnt, bei großen Zwischenstationen und am Zielort einer Strecke auch die wichtigsten Umsteigemöglichkeiten vorzufinden – mit Streckennummer, Abfahrt- und Ankunftszeit.

Bei der BSAG dagegen herrscht noch das Vor-Eisenbahn-Zeitalter: Der Fahrgast, dessen Bus oder Bahn an der City vorbeifährt, muß sich erst mühselig heraussuchen, welche Anschlußlinien vom Hauptbahnhof zur Domsheide führen, und dann darf er dieses halbe Dutzend Parallel-Linien einzeln danach durchsehen, welche ihm am schnellsten einen Anschluß bietet.

Vom vielen Blättern genervt, wünscht sich der Neu-Bremer nichts sehnlicher, als daß auf den BSAG-Linien ICEs und Bahnbusse verkehrten. Denn unter DB-Regie fände der Fahrgast nicht nur bei jeder Linie Anschlußhinweise, sondern auch Gesamtfahrpläne für bestimmte Streckenabschnitte – also eine chronologische Auflistung aller Busse und Bahnen, die zum Beispiel zwischen Bahnhof und Domsheide verkehren. Das würde das lästige Hin- und Herblättern zwischen verschiedenen Parallel-Linien ersparen.

Auch im Detail könnte die BSAG vom großen Bruder lernen: Im Bahn-Kursbuch steht über jeder Fahrplanseite ein Pfeil, der darauf hinweist, ob man weiter nach vorne oder mehr nach hinten blättern muß, um die Gegenrichtung zu finden. Bei BSAG-Linien, die bis zu 66 Seiten in Beschlag nehmen, muß der Kunde erst auf Verdacht herumstöbern, bis er die Gegenrichtung entdeckt. Bis unser Neu-Bremer den richtigen Anschluß gefunden hatte, war soviel Zeit verstrichen, daß er in der Zwischenzeit schon längst mit dem eigenen Auto am Ziel angelangt wäre.

Verärgert über die Gedankenlosigkeit der Fahrplangestalter, schrieb er der BSAG am 20.11.90 einen freundlichen Brief mit obigen „Anregungen zur Gestaltung ihres Fahrplanheftes“. Doch statt der erbetenen Antwort kam erstmal nichts. Vier Monate später schickte er ein Erinnerungsschreiben – diesmal mit Erfolg: Die BSAG teilte ihm mit, eine interne Arbeitsgruppe sei bereits „seit einigen Wochen damit betraut, eine moderne und damit zeitgemäße Alternative“ zum bisherigen Fahrplanheft zu erarbeiten, und der Briefeschreiber werde „den einen oder anderen“ Vorschlag sicher bald verwirklicht sehen. Das war's dann.

Unser Neu-Bremer von 1990 hat sich vor einigen Wochen erneut beschwert: Einmal, bei Sommerregen, hätte er fast einen Termin verpaßt, weil das Fahrplanheft ihn an keiner Stelle darauf hingewiesen hatte, daß gerade ein ausgedünnter Ferienfahrplan galt. Ein erboster Anruf beim BSAG-Kundendienst brachte ihm das Versprechen ein, die Beschwerde werde an die Fahrplangestalter weitergeleitet. Jetzt wartet er gespannt auf den nächsten Sommerfahrplan.

gel