Franco-vietnamesische Cinderella

■ Der Duft der Grünen Papaya, Erstling von Tran Anh Hung jetzt im Kino

In jedem Land der Welt, so scheint es, erzählt man sich das Märchen vom Aschenputtel – mit kleinen Abweichungen. Mui heißt die Cinderella in der franco-vietnamesischen Fassung „Der Duft der grünen Papaya“. Es ist der Erstlingsfilm des gebürtigen Vietnamesen Tran Anh Hung, der im französischen Exil lebt. Und vielleicht hat er deshalb die Klischees von den üppigen Tropen und der asiatischen Diskretion filmisch so gekonnt ausgemalt, daß die „Grüne Papaya“ mit der Goldenen Erstlings-Kamera in Cannes belohnt wurde.

Muis Geschichte, die im Saigon der 60er Jahre spielt, ist schnell erzählt: Zehnjährig zieht die Halbweise als Dienstmädchen zu einer wohlsituierten Familie in die Stadt. Ihr Filmleben, das vom Morgengrauen bis zum späten Abend aus Arbeit besteht, läßt ihr dennoch Zeit für kindlich-naive Betrachtungen ihrer kleinen Welt: scheinbar mit den Augen des Kindes erforscht die Kamera ein Ameisenleben in epischer Breite. Daß es im Film dagegen keine Spur von menschlicher Erschöpfung gibt, deckt sich mit der Absicht des Filmemachers. Ihm ist das Dienstmädchenleben lediglich Material für ein Märchen. Deshalb gibt es auch eine gute Fee: Die Herrin liebt Mui wie ihre eigene schon früh verstorbene Tochter.

Ohne großes Pathos wird diese Verbindung im Film eingeführt: Da wird das junge Mädchen vom Land auf märchenhaft unerklärliche Weise vom Foto eines Kindes angezogen, das auf dem Sims steht – es ist das Bild der Tochter. Und während Mui noch auf das Bild starrt, wissen wir, daß hier am Faden gesponnen wird, aus dem der Stoff der Filmträume gewebt ist. Wir ahnen schon: Es werden Hochzeitsglocken bimmeln – zum Aschenbrödel fehlt nur noch der Prinz.

Trotz seiner simplen Story kann man sich bei diesem Film nicht langweilen – wenn man sich von seiner Machart einfangen läßt. Die ruhige Kameraführung, die ein asiatisch-fremdartiges Ensemble von filigranen Mustern aus Holz, Stoffen und üppig grünen Blättern streift, schickt uns auf eine kleine Reise in eine andere Welt. Eine vollkommen unechte übrigens: Das kleine Dienstmädchenreich, ein Hof und eine Gasse, wurde in französischen Filmstudios nachgebaut. So gelungen allerdings, daß wir in dieser fremdartigen Innenhofatmosphäre gerne versinken. Und uns von impressionistisch unscharfen Bildern, die über Details von Blüten plötzlich scharf werden, und dann den Blick auf ein ungewohntes Ganzes eröffnen, faszinieren lassen.

Daß trotzdem Spannung entstehen kann, liegt wohl an unseren eigenen Sehgewohnheiten, mit denen der Film spielt: Weil wir ruhige Filme, die mit Bildern, statt mit Worten erklären, kaum gewöhnt sind, bleiben wir auf einen endlich losbrechenden Handlungssturm ständig gefasst. Mancher ruhige Bildwechsel, manche geheimnisvolle Einstellung hinter dem Pfosten hervor, löst deshalb mehr Spannung aus, als er verdient. So wirft uns der Film zurück auf uns selbst: Auf unsere Sehgewohnheiten. Auf unseren Umgang mit Märchen. Und mit dem Fremden.

Eva Rhode

Cinema im Ostertor, Ostorsteinweg 105, täglich 21 Uhr