Geld muß stinken Von Mathias Bröckers

Seit zwei Wochen sind in Berlin „Knochen“ im Umlauf, eine von Künstlern gestaltete Währung, für die eine Galerie als Zentralbank fungiert und die in den umliegenden Geschäften und Kneipen als Zahlungsmittel akzeptiert wird. Interessant an der artifiziellen Währung ist aber weniger ihre künstlerische Gestaltung und die Möglichkeit, mit dem Knochenschein eines bekannten Malers ein Kunstobjekt von bleibendem Wert zu erwerben, spannend ist vielmehr, daß das Kunstgeld planmäßig an Wert verliert.

Was sich hinter der heiteren Kunstaktion verbirgt, ist eine ernste und ernstzunehmende Geldtheorie, die der Ökonom Silvio Gesell Anfang des Jahrhunderts entwickelt hat. Daß Gesells Theorie heute kaum bekannt ist, geschweige denn an den Universitäten und Wirtschaftsakademien gelehrt wird, liegt nicht daran, daß sie falsch, überholt oder widerlegt wäre. Sie ist im Gegenteil genial, einfach und praktisch erprobt. Ihr einziger „Nachteil“: Sie würde die Marktwirtschaft vom Kopf auf die Füße stellen, zum Vorteil von 99 Prozent der Bevölkerung. Um eine wirklich freie und soziale Marktwirtschaft zu erreichen und den Kapitalismus zu überwinden, braucht es nach Gesell nur einen einzigen genialen Kunstgriff: Das Geld muß planmäßig an Wert verlieren. Durch eine solche Umlaufgebühr wäre es als Mittel der Schatzbildung nicht mehr geeignet, sondern nur noch als reines Medium des Tauschs. Die Folge wäre ein wahrer Investitionsboom. Weil niemand ein Interesse daran hat, das Schwundgeld zu behalten, wären Kredite zu null Prozent Zins an jeder Ecke zu bekommen. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes würde gesteigert, die Konjunktur angekurbelt, die Wirtschaft belebt. Dem Geschäft der Banken und Kredithaie wäre die Grundlage entzogen, die „Macht des Geldes“ gebrochen. Durch die Umlaufgebühr wäre es genauso verderblich wie jedes andere Investitionsgut auch. Statt aus ihren Zinsgewinnen jeden Morgen eine halbe Million Mark reicher zu werden, würde eine Fürstin Thurn und Taxis täglich ärmer – und mit ihr ca. 0,1 Prozent der Bevölkerung. Für etwa fünf Prozent bliebe nach einer solchen Geldreform alles beim alten – dieser „obere Mittelstand“ zahlt derzeit täglich etwa soviel Zinsen, wie er einnimmt.

Für den ganzen Rest der Bevölkerung wäre die Wirtschaftslage schlagartig verbessert, denn ihren lächerlichen Einkünften aus dem Sparbuch stehen tägliche Zinskosten in gigantischem Ausmaß gegenüber. Ohne irgend etwas davon zu ahnen, geben diese 95 Prozent einen Großteil ihres Geldes für Zinsen aus: von der Miete bis zur Kanalgebühr, vom Busfahrschein bis zur Kinokarte, überall sind Zinskosten versteckt – die Milliarden für Gloria & Co.

Um der Lähmung der Weltwirtschaft durch den Zins (in spätestens drei Jahren ist der Zinsdienst der größte Posten im Bundesetat!) und dem Geldfeudalismus an den Kragen zu gehen, muß man die Herrschaften heute nicht mehr aufhängen. Es reicht eine kleine Geldreform à la Gesell, wie sie die „Knochen“-Künstler derzeit vorexerzieren. Gekoppelt mit dem ohnehin überfälligen Verbot, mit Grund und Boden zu spekulieren, löst sie alle Wirtschaftsfragen wie von selbst. Für die Zukunft führt kein Weg daran vorbei: Geld muß wieder stinken!