■ Bosnien-Konferenz der EU in Brüssel: Eine doppelt-halbherzige Drohung
Die europäischen Außenminister stehen zu den Positionen der UNO-Beschlüsse, das hat Kinkel gestern ausdrücklich und mehrfach bekräftigt. Allerdings habe man „die Realitäten anerkannt“. Was heißen soll, daß die UNO-Beschlüsse zu Bosnien nicht mehr zu halten waren. Aber nicht nur dieser Positionswechsel selbst, die Art und Weise, wie er über die Bühne gebracht wurde, signalisiert den Kriegsfürsten in Bosnien, daß jetzt die Tore offen sind: Die Europäische Union ist bereit, noch weiter zurückzuweichen.
Der britische Außenminister Hurd würde am liebsten ganz nach Hause gehen und so lange wegschauen, bis der Winter vorbei ist. Ihm ist bereits der militärische Mindestschutz für die Hilfstransporte zuviel. Auch der EG-Vermittler Lord Owen hat in den letzten Tagen ziemlich unverhohlen darüber sinniert, ob die Winterhilfe für die Bosnier den Krieg nicht unnötig verlängern würde. Auch wenn es so niemand sagt: ein Teil der EU-Diplomaten, nicht nur der britischen, will den Krieg ausbrennen lassen. Da spielt auch die Nordirland-Erfahrung mit, daß ein Konflikt selbst über einen langen Zeitraum regional begrenzt gehalten werden kann. Vor diesem Hintergrund wirkt der Kinkel/Juppé-Vorschlag fast schon revolutionär. Er gibt zwar auch UNO-Positionen auf, aber wenigstens nicht alle. Die Initiative beweist immerhin so viel Mut, das fast sichere Scheitern und den damit verbundenen diplomatischen Schaden für die EU in Kauf zu nehmen. Es ist der Versuch, moralisch das Gesicht zu wahren, mehr nicht. Den drei Millionen Bosniern, die vor einem weiteren Hungerwinter stehen, ist damit wenig geholfen. Selbst wenn die politischen Führer der Kriegsparteien unter dem Eindruck der wirtschaftlichen Verlockungen der EU einlenken, ist nach aller Erfahrung kaum damit zu rechnen, daß sich auch die militärischen Führer an die Abmachungen halten. Den Bosniern wäre mehr gedient, wenn Kinkel und Juppé ihre Energie darauf verwenden würden, die Partner zur entschlosseneren Durchsetzung der Hilfslieferungen zu bewegen. Wenn Kinkel sagt, daß die politische Lösung die Voraussetzung für erfolgreiche Hilfstransporte ist, dann sieht es schlecht aus für die Bosnier. Die halbherzig durchgeführten Hilfslieferungen der Europäischen Union werden nicht wirkungsvoller, wenn sie jetzt von einer halbherzigen politischen Initiative unterstützt werden. Wer halbherzig droht, kann nicht erwarten, daß er ernst genommen wird, auch wenn er auf zwei Ebenen droht. Am Montag treffen sich die 12 Außenminister mit den politischen Führern der Kriegsparteien in Genf. Es wird Karadžić & Co sicher schwer beeindrucken, wenn sie live erleben dürfen, mit wie vielen Zungen eine gemeinsame Außenpolitik formuliert werden kann. Alois Berger, Brüssel
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