Arafat sitzt zwischen allen Stühlen

Der PLO-Chef wird von Israelis und Palästinensern angegriffen / Die einen werfen ihm vor, nicht für Ruhe und Ordnung zu sorgen, die anderen klagen, er liefere sie schutzlos aus  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Wegen zunehmender Spannungen in den besetzten Gebieten wurden gestern in Kairo die Verhandlungen über die Verwirklichung der Teilautonomie im Gaza- Streifen und in Jericho verschoben. Unterdessen gerät PLO-Chef Jassir Arafat zunehmend unter palästinensische und israelische Kritik. Israelische Regierungspolitiker werfen Arafat vor, die Palästinenser hätten die Intifada – den Aufstand in den besetzten Gebieten – wieder aufgenommen. Breite palästinensische Kreise machen ihn dagegen dafür verantwortlich, daß die Palästinenser schutz- und wehrlos den Angriffen jüdischer Siedler und Übergriffen der Besatzungstruppen ausgesetzt seien.

Israels stellvertretender Verteidigungsminister Gur beschuldigte Arafat, die Abkommen mit Israel gebrochen zu haben, da er „als Fatah-Führer seinen Aktivisten keinen Befehl erteilt hat, den Terror einzustellen“. Der Reservegeneral und Politiker der Arbeiterpartei forderte Arafat auf, im israelischen und arabischen Fernsehen aufzutreten, um persönlich ein Verbot aller bewaffneten Widerstandsaktionen auszusprechen. „Wenn Fatah-Leute in den besetzten Gebieten Terrorakte verüben, trägt Arafat dafür die ganze Verantwortung“, erklärte Gur.

Nachdem in der vergangenen Woche in Ramallah ein palästinensischer Schüler erschossen und ein weiterer verletzt worden war, wurde in der auf der Westbank gelegenen Stadt ein Flugblatt der lokalen Fatah-Führung verteilt. Darin hieß es, die Intifada solle fortgeführt werden, „bis ihr Ziel, das Ende der israelischen Besatzung, erreicht ist“.

Nach einer Reihe von Angriffen bewaffneter Siedler riefen in Hebron führende Mitglieder der Organisation der palästinensischen Akademiker zur Erneuerung der Intifada auf, um die Siedler aus der Stadt zu vertreiben. Sie verlangten die Aufstellung einer internationalen Schutztruppe für die besetzten Gebiete, da das israelische Militär keine Anstrengungen unternehme, die palästinensische Bevölkerung vor Angriffen der Siedler zu schützen. In einem Flugblatt der Fatah, das in Hebron verteilt wurde, heißt es: „Unsere Geduld ist zu Ende. Wenn der Preis, der uns für den Frieden abverlangt wird, darin besteht, daß wir tagtäglich die Angriffe der Siedlerhorden erdulden müssen, dann akzeptieren wir einen solchen Frieden nicht. Wir Fatah-Leute werden unsere Waffen gegen die Siedler richten, um uns zu verteidigen.“

In den besetzten Gebieten wächst auch die Kritik an Arafats „Arbeitsmethoden“ innerhalb der PLO. Die Führung der Palästinensischen Volkspartei (PPP) beanstandet das „totale Chaos“ unter den von Arafat ernannten Delegationen und „Konfusion und Planlosigkeit“ bei den gegenwärtigen Verhandlungen mit Israel. Die PPP hatte bisher das Abkommen mit Israel – wenn auch nicht kritiklos – unterstützt.

PPP-Generalsekretär Baschir Barghuti erklärte jetzt, seine Partei werde sich an den Verhandlungen mit Israel erst dann beteiligen, wenn eine klare palästinensische Verhandlungsstrategie formuliert sei. „Falls derlei Konzepte vorhanden sind, weiß ich nichts davon“, monierte er. Die palästinensischen Delegationen gingen derzeit ohne Direktiven zu den Sitzungen, und „die meisten Delegierten wissen gar nicht, worum es geht“. Es sei nicht überraschend, daß Israel statt eines vollständigen Abzugs seiner Soldaten aus dem Gaza-Streifen und der Region Jericho bloß Truppenverschiebungen vorschlage. Schließlich wolle die israelische Regierung die besetzten Gebiete unter militärischer Kontrolle behalten. Israel betrachte seine Siedlungen als politische, militärische und wirtschaftliche Kontrollposten, die gezielt die geographische Einheit der besetzten Gebiete durchbrechen sollen. Die Siedlungen seien „ein physisches Hindernis für die Bildung eines unabhängigen palästinensischen Staates“, erklärte Barghuti.

Die Ost-Jerusalemer Führung der Partei kritisiert, daß Arafat erst mit großer Verspätung ein Komitee für Wirtschaftsentwicklung und Wiederaufbau der besetzten Gebiete (Pedra) ernannt habe. Der PLO-Chef hatte sich kürzlich selbst an die Spitze des Gremiums gestellt. Dessen Mitglieder sind Arafat-loyale Personen, denen mehrheitlich jegliche Erfahrungen in Wirtschaftsangelegenheiten fehlen. Einer der wenigen namhaften Ökonomen unter den Ernannten, Jussif as-Sayigh, hatte aus Protest gegen diese Zusammensetzung des Gremiums sofort seinen Austritt erklärt.

Der Kommentator der israelischen Zeitung Haarez, Dani Rubinstein, weist darauf hin, daß die Unterstützung für die PLO-Führung und den Friedensprozeß in allen Teilen der besetzten Gebiete dahinschwinde: „In den Straßen von El-Bireh, Ramallah und Hebron sehen wir wieder altbekannte Bilder: Ausgehverbot, Straßensperren, Unruhen, Steinwürfe, Schießereien, als ob wir in die Zeit der Intifada zurückgekehrt wären.“