: Schweigen im Walde
■ "Kein schöner Wald" - ein Buch und eine Ausstellung in München
Wer sich in Bayern den Wald genauer – vielleicht sogar kritisch – anschauen will, der bekommt es mit dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu tun. Da könnte ja jeder kommen. Etwa der Bund Naturschutz, der vor ein paar Wochen zu einer Pressefahrt zum Thema „Im Wald ist kein Land in Sicht“ auf den Wank bei Garmisch einlud, um aus Anlaß des anstehenden „Waldzustandsberichts“ der bayrischen Staatsregierung über die traurige Wirklichkeit zu informieren. Da flatterte den Naturschützern aber ganz schnell ein ministerielles Fax ins Haus. Darin verlangte ein Ministerialdirigent Zerle unumwunden, den Pressetermin „im Hinblick auf eine weitere konstruktive Zusammenarbeit“ abzusagen. Schließlich „dürfte auch Ihrem Verband bekannt sein, daß das von der bayerischen Verfassung garantierte Betretungsrecht der freien Natur sich nur auf die Erholung bezieht, nicht aber auf die Veranstaltung von Presseterminen und dergleichen“.
Der Wald wird also, wie man sieht, gut geschützt vom zuständigen bayerischen Ministerium – zumindest vor genauerem Hinschauen. Was zu sehen ist, wenn man es doch tut, zeigen der Fotograf Ossi Baumeister und die Biologin Sylvia Hamberger von der Gesellschaft für ökologische Forschung in einer vergleichenden Fotodokumentation, die jetzt in München herausgekommen ist: Kein schöner Wald.
„Kein schöner Wald“ heißt deshalb auch die Ausstellung, die gerade im Münchner Stadtmuseum eröffnet wurde, und der durch eine Reihe informativer Aufsätze ergänzende Katalog. Nach „Grün kaputt“ (1983), „Alptraum Auto“ (1986) und „Sein oder Nichtsein“ (1990), allesamt inzwischen Öko- Klassiker, legt der Münchner Raben Verlag wieder eine Arbeit vor, bei der der ganz normale Zerstörungswahnsinn durch genaue Beobachtung im Detail dokumentiert wird. Es war und ist das Prinzip der Münchener, weniger auf Schock als auf Schärfung der Sehgewohnheiten zu setzen. Mehr noch als ihre Vorgängerinnen ist die neue Ausstellung ein Ereignis der leisen Töne: mehr Schweigen im Walde als Kreischen von Motorsägen. Bäume sterben nicht nur langsam, sie sterben auch undramatisch, und man muß sehr genau – und immer wieder – hingucken, um das elende Siechtum des Waldes zu erkennen. Sylvia Hamberger und Ossi Baumeister haben sieben Jahre lang hingeguckt, regelmäßig, immer wieder, an den selben Standorten, zur selben Jahreszeit.
Langzeitbeobachtung ist aufwendig (das Projekt wäre ohne Unterstützung von Greenpeace nicht zu machen gewesen), aber lohnend. „Kein schöner Wald“ ist Spurensicherung, Erinnerung und Warnung zugleich. Keiner soll später sagen: „Das haben wir nicht gewußt.“ Und keiner kann nach diesen Bildern rechtens mehr sagen: „Das haben wir nicht bemerkt.“ Die Zeitraffermethode zeigt auch dem Laien, daß da etwas passiert. Die offizielle Verharmlosung (der „Waldschadensbericht“ heißt heute „Waldzustandsbericht“) mag uns noch eine Weile beruhigen.
Irgendwann aber werden wir mitten im „Wald“ stehen, und dennoch wird uns die pralle Sonne den Pelz verbrennen. Dieser „Verlust der Schatten“, von dem Sylvia Hamberger in ihrem Beitrag spricht, ist in vielen Bildern der Ausstellung bereits zu ahnen: Bei fast allen gezeigten Bäumen haben sich in den vergangenen sieben Jahren die Kronen gelichtet.
Schon in „Sein oder Nichtsein“ wurde gezeigt, daß die Katastrophen sich oft im Alltäglichen abspielen. Viele der Tragödien heute sind nicht auf den ersten Blick auszumachen. „Kein schöner Wald“ plädiert für den zweiten Blick. Man ist gewiß noch kein Forstexperte, wenn man die Ausstellung verläßt; aber man vertraut vielleicht nicht mehr so ganz den Verlautbarungen eines Waldzustandsberichtes, der, wie etwa der der letzten der bayerischen Staatsregierung, von einer „merklichen Verbesserung der Situation unseres Waldes“ spricht.
Was tun? Der Münchner Professor für Forstbotanik, Peter Schütt, konstatierte bei der Eröffnung der Ausstellung, daß große Teile der Bevölkerung offenbar resigniert haben, was den Wald betrifft. Ist es wirklich Resignation? Oder streut nicht vielmehr eine Kumpanei aus Politik, Industrie und selbst Teilen der Wissenschaft eben jener Bevölkerung solange Sand in die Augen, bis sie sich – ein wenig blind geworden – beruhigt? Und dann glücklich zur Erholung in die freie Natur braust, für die sie ja Gott sei dank ein „Betretungsrecht“ hat. Wenn da bloß nicht diese komischen Löcher in den Bäumen wären. Und es werden immer mehr. Thomas Pampuch
Die Ausstellung „Kein schöner Wald“ wird bis zum 9.Januar 1994 im Münchner Stadtmuseum gezeigt. Der Katalog „Kein schöner Wald – Eine vergleichende Fotodokumentation“ von Sylvia Hamberger, Ossi Baumeister und Wolfgang Zängl ist beim Raben Verlag München, 1993, erschienen; 144 Seiten, 120 Vierfarbabb., 34 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen