■ Saddams Giftgaseinsätze in den Sümpfen des Südirak
: Mörderischer Status quo

Die UN-Resolution 688, die Saddam Hussein untersagt, die irakische Bevölkerung zu unterdrücken, sei nicht „das Papier wert, auf dem sie geschrieben ist“, meinte die britische Parlamentsabgeordnete und Leiterin der Hilfsorganisation „Amara-Appeal“, Emma Nicholson, vergangene Woche. Äußerungen der neun UN-Inspekteure, die in den vergangenen Tagen nach Spuren eines angeblichen Giftgasangriffes irakischer Truppen auf Schiiten im Süden des Landes suchten, geben ihr recht. Anfang Oktober hatte die Oppositionsgruppe „Oberster Rat für die islamische Revolution im Irak“ erste Informationen über den Giftgasangriff verbreitet. Für den zweifelsfreien Nachweis von Gifgas wird eine Untersuchung des Kampfschauplatzes binnen 72 Stunden geraten. Es dauerte aber sieben Wochen, bis die UN-Experten im Südirak waren. Gestern erklärten sie, „keine unmittelbaren“ Beweise für den Einsatz von Giftgas gefunden zu haben. Genaue Untersuchungen der genommenen Proben würden mehrere Monate dauern.

Es wird also weiter Zeit verstreichen, in der irakische Soldaten im Süden des Landes massakrieren und brandschatzen. Neue Kanäle sorgen dafür, daß die südirakischen Sümpfe, wo traditionell politische Widerstandsgruppen nisten, austrocknen. Nicholson befürchtet dort einen Völkermord, dem 600.000 Menschen zum Opfer fallen könnten. Bereits im Frühjahr 1992 hatte der UN-Sonderberichterstatter über Menschenrechte im Irak, Max van der Stoel, Chemikalienspuren in den Sümpfen vermeldet. Der britische Journalist Shyam Bhatia berichtete im Februar 1993, irakische Truppen würden Pflanzengifte in die Gewässer leiten. Die Angaben wurden kaum beachtet und blieben ohne Konsequenzen. Ebenso wie Berichte über Massaker mit „konventionellen“ Waffen.

Nach dem zweiten Golfkrieg geht vom irakischen Militär keine Gefahr mehr für die Staaten der Region aus. Gegen die von der UNO verordnete Verschiebung der irakisch-kuwaitischen Grenze protestierte die irakische Führung in der vergangenen Woche nicht mit Scud-Raketen, sondern steinewerfenden Bauern. Saddam Hussein ist nur noch für die irakische Bevölkerung eine tödliche Gefahr, und der Rest der Welt scheint sich mit diesem mörderischen Status quo abzufinden. An seinen Zielen im Süden des Landes hat der Diktator keine Zweifel gelassen. Einer der dort trotz internationalen Embargos im Eiltempo gebauten Kanäle trägt den Namen „Anfal 3“. Den dem Koran entlehnten Namen „Anfal“ gab Saddam Hussein auch der Massenvernichtungskampagne gegen die irakischen Kurden. Sie gipfelte 1988 in dem Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha. Auch er wurde international erst zur Kenntnis genommen, als es zu spät war. Thomas Dreger