Dumping-Wärme für Aachen?

Der Energieriese RWE will Aachen an das Braunkohlekraftwerk Weisweiler ankoppeln/ Die ökologischere Lösung bleibt auf der Strecke  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Im Prinzip sind alle dafür. Den verstärkten Einsatz von Kraftwerken, die nicht nur Strom oder Wärme, sondern in „Kraft-Wärme-Kopplung“ beides liefern, fordern mittlerweile Energiepolitiker jeglicher Couleur. Ebenso den Ausbau des Fernwärmenetzes. Beides, sind sich auch Energiewirtschaft und Umweltverbände einig, entlastet die Umwelt durch bessere Ausnutzung der eingesetzten Brennstoffe. Auch in Aachen, einer Stadt mit Vorreiteranspruch auf dem Feld effizienter Energienutzung, soll künftig mehr Fernwärme eingesetzt werden. Über das Wie debattierten die Kontrahenten im energiewirtschaftlichen Dauerstreit monatelang. Heute will der Rat der Stadt entscheiden.

Der Energieriese RWE lockt die Stadtväter mit einem Angebot, das Aachener Umweltgruppen schlicht für Dumping halten: Der größte Stromkonzern im Lande möchte die Stadt an sein knapp 20 Kilometer entferntes Braunkohle- Großkraftwerk Weisweiler ankoppeln. Das produziert derzeit rund 2.400 Megawatt Strom und pustet etwa doppelt soviel „Abfallwärme“ ungenutzt in die Atmosphäre.

Gut 100 Megawatt – 1,5 Prozent der gesamten Wärmeproduktion des Kraftwerks – sollen nun durch ein halbmeterdickes Rohr geleitet werden und in Aachen und anderen Gemeinden entlang der geplanten Trasse für warme Füße sorgen. Für diese Lösung machen sich auch die Stadtwerke Aachen (Stawag) stark. Das RWE lockt dabei mit Preisen für seine Wärme, die nach Überzeugung der Umweltschützer erheblich unter den Selbstkosten und noch mehr unter den volkswirtschaftlichen Kosten liegen dürften.

Gegen die 17,5 Kilometer lange Wärmetrasse aus Weisweiler opponieren regionale Umweltverbände, Bündnis 90/ Die Grünen, die Technische Hochschule Aachen (RWTH) und einzelne Ratsmitglieder von SPD und CDU. Sie wünschen sich statt Wärme aus dem Mammutkraftwerk ein stadteigenes, erdgasbefeuertes Heizkraftwerk mit besonders effektiver Gas- und Dampfturbinentechnik auf Aachener Grund.

Die Abfallwärme in Weisweiler falle ohnehin an, argumentieren RWE und Stawag. Insbesondere die lokale Emissionsbilanz bei den Schadstoffen Schwefeldioxid und Stickoxiden verbessere sich erheblich, wenn Aachen auf Fernwärme aus Weisweiler umsteige.

Die Umweltorganisationen verweisen dagegen darauf, daß moderne Kraftwerke mit Gas- und Dampfturbinentechnik Primärenergie unbestritten am allerbesten nutzen. Der Strom, der in einem stadteigenen Heizkraftwerk erzeugt würde, müßte nicht mehr wie bisher vom Großversorger RWE bereitgestellt werden.

Der Konzern würde, sind sich die Verfechter des kleinen städtischen Kraftwerks sicher, mit der Drosselung seines teuren Steinkohle-Stroms reagieren. Per Saldo würden die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid erheblich reduziert werden. Aachen könne seine Kohlendioxid-Bilanz „auf einen Schlag“ um fast sieben Prozent entlasten – gegenüber nur etwa einem Prozent bei der Weisweiler- Variante.

Die Gutachter der Stadtwerke widersprechen. Sie berechnen die CO2-Einsparung auf der Basis der Emissionen aller RWE- Kraftwerke, inklusive der CO2- freien Atomenergie. Ein Rechentrick, der den positiven Klimaeffekt des neuen stadteigenen Heizkraftwerks in die Bedeutungslosigkeit bugsiert. In der Realität nämlich würde, weil ökonomisch unsinnig und technisch problematisch, das RWE niemals wegen der teilweisen Eigenversorgung in Aachen ein Atomkraftwerk herunterfahren.

Der ökonomische Schlagabtausch fand in den vergangenen Monaten auf weitgehend unbekanntem Terrain statt. Den Preis nämlich, den die Stadtwerke Aachen heute oder in Zukunft dem RWE für die Kilowattstunde Strom bezahlen müssen, hüten beide wie ein Staatsgeheimnis. Ebenso den angeblich „auf der Basis von Selbstkosten“ berechneten Fernwärmepreis. Die Kenntnis beider wäre aber notwendig, damit die Aachener Stadtväter die happige Zukunftsinvestition in ein stadteigenes Kraftwerk mit Gas- und Dampfturbinentechnik – etwa 80 Millionen Mark – seriös gegen die dann eingesparten Kosten für die RWE-Energie aufrechnen könnten.

Die Kostenschätzungen des RWE für die Kraftwerksumrüstung in Weisweiler und die 17,5 Kilometer lange Trasse schrumpften in den vergangenen Jahren auf wundersame Weise zusammen. Ausgangspunkt war wohl das Gutachten eines Hamburger Ingenieurbüros, das im Auftrag der Stawag die Weisweiler-Lösung 1988 für ökonomisch indiskutabel erklärt hatte. Seither purzelten die Preise: von 115 Millionen (1989), über 60 bis 80 Millionen (April 1992) auf nur noch 50 Millionen (Ende September).

„RWE“, glaubt die Greenpeace-Aktivistin Anne Kreutzmann, „würde Aachen notfalls Wärme plus Leitung auch schenken.“ Mit Altruismus hat das Verhalten der Essener Konzernlenker wenig zu tun. Tatsächlich möchte RWE mit der spärlichen Fernwärmeauskopplung in Weisweiler exemplarisch dem Drängen der Düsseldorfer Landesregierung nach höherer Effizienz seiner Kraftwerke nachkommen, an die diese – unter anderem – ihr grundsätzliches Ja zum „Aufschluß“ des umstrittenen Braunkohletagebaus Garzweiler II bei Erkelenz gebunden hatte.

Damit das nicht zu teuer kommt, will sich der Stromkonzern das lange Rohr nach Aachen noch dazu mit bis zu 30 Prozent aus dem Landesförderprogramm für Fernwärme rückvergüten lassen. Damit bliebe der Topf über Jahre für andere Projekte blockiert. Das RWE ließe sich somit von der Landesregierung für Maßnahmen bezahlen, die diese dem Konzern als Gegengabe für Garzweiler II abverlangt hatte. Um dieses Ergebnis noch zu vermeiden, rauchen im für die Genehmigung oder Ablehnung der RWE Anträge zuständigen Düsseldorfer Wirtschaftsministerium die Köpfe. Die pikante Entscheidung läßt auf sich warten.