„Die gesamte Aktion ist eine Mogelpackung“

■ Der SPD-Politiker Egon Bahr, Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, zum Bonner Kalkül hinter der Beteiligung deutscher Soldaten an UN-Einsätzen

taz: Herr Bahr, das Bundeskabinett wollte am Dienstag abend über den Abzug der Bundeswehr aus Somalia beraten. Die Inder sind gar nicht erst gekommen, die Amerikaner verlassen das Land. Müssen die Bundeswehrsoldaten noch einen Tag länger bleiben?

Egon Bahr: Wie immer die Kabinettsbeschlüsse ausfallen, sie ändern nichts daran, daß die gesamte Aktion der Bundeswehr in Somalia eine Mogelpackung ist. Das Bundesverfassungsgericht hat den Eindruck vermittelt, daß es der Versicherung der Bundesregierung glaubt, wonach die Bundeswehr nur in einem befriedeten Gebiet und zu rein humanitärer Unterstützung eingesetzt werde. Das bedeutet, daß die deutschen Soldaten dort nicht wie Verbände anderer Staaten voll als Blauhelm- Streitkräfte tätig sein können. Sie sind abhängig von der Unterstützung anderer, die sie, wenn es zu Zwischenfällen kommt, verteidigen müssen, die sie – wie die Amerikaner – versorgen müssen. Die Bundesregierung könnte sich aus der mißlichen Lage befreien, wenn sie auf der Basis dessen, was vergangene Woche auf dem SPD-Parteitag beschlossen worden ist, jetzt eine Verfassungsänderung macht. Das könnte schon in der nächsten Woche geschehen.

Was wäre damit gewonnen?

Die Bundesrepublik wäre damit fähig, sich wie jeder andere Staat an Blauhelm-Einsätzen zu beteiligen. Das, was in Somalia ansteht, liegt weit unterhalb dessen, was die SPD bereit ist, in einer Verfassungsergänzung festzulegen, nämlich die Durchsetzung von Embargo- und Blockademaßnahmen. Wenn das geschähe, wäre die Bundesregierung frei, wie jeder anderer Staat zu entscheiden, ob und wann und unter welchen Bedingungen sie ihre Militärs abzieht. Ohne eine Klärung der Verfassungslage muß die Bundesregierung den Schein aufrechterhalten. Jetzt geht es nur noch um Schadensbegrenzung – im Interesse unserer Soldaten, im Interesse des deutschen Ansehens, im Interesse Somalias.

Diese Grundgesetzänderung aber wird nicht kommen. Wann müssen die deutschen Soldaten zurückgerufen werden?

Die Bundesregierung ist faktisch darauf angewiesen, sich zeitgleich mit den USA zu entscheiden, weil es gar nicht möglich oder verantwortbar wäre, deutsche Soldaten mit Versorgungslücken und in einem potentiell gefährdeten Gebiet zu belassen. Wir müssen also abwarten, was die Amerikaner beschließen und spätestens zeitgleich mit ihnen abziehen.

In dem Streit zwischen dem Außenminister und dem Verteidigungsminister geben sie also Herrn Rühe recht?

Der Streit zwischen den beiden ist schon ein bißchen komisch. Hier geht es in erster Linie um die Soldaten und in zweiter Linie um mögliche Ansehensverluste der Bundesrepublik, die sich aus einer Lage ergeben haben, in die sich die Regierung selbst gebracht hat. Jedenfalls brauchen wir schon längst nicht mehr so viele Soldaten, wie im Moment in Belet Huen stationiert sind.

Am Anfang der Somalia-Mission haben sich Regierung und Opposition gestritten, am Ende streiten die Minister im Kabinett. Wäre nicht eine Klärung über die Außenpolitik nötig gewesen, bevor die Bundeswehr sich auf ein solches Abenteuer einließ?

Das hätten sowohl der gesunde Menschenverstand als auch die politische Klugheit verlangt. Aber so ist diese Regierung eben.

Was ist das Kalkül dahinter?

Es gibt zumindest in Kreisen der CDU/CSU die Hoffnung, eine Verfassungsänderung erzwingen zu können, die über den Einsatz von Blauhelmen hinausgeht. Bundeswehreinsätze im Ausland im Rahmen der Nato und der Westeuropäischen Union sollen möglich werden, die über die Kontrolle der Vereinten Nationen hinausgehen. Die Regierungskoalition sollte jetzt einsehen, daß das nicht möglich ist, auch nicht nach der Bundestagswahl im Herbst 1994.

Hat der Einsatz in Somalia nicht jene Sensibilität aufgebraucht, mit der die Öffentlichkeit bisher Diskussionen um Militäreinsätze begleitete? Werden nicht künftig Bundeswehreinsätze im Ausland leichter sein?

Ich denke und hoffe, daß die Sensibilität der Öffentlichkeit zunimmt. Denn wenn die Bundeswehr fähig ist, sich aus Somalia herauszuziehen, ohne dafür mit Leben bezahlen zu müssen, werden wir Glück gehabt haben. Und Glück kann man nicht immer haben. Interview: Hans Monath