Peter Sloterdijk über städtisches Leben

Was geschieht jetzt mit den modernen abendländischen „stadtmüden Stadtflüchtlingen“, den „Spleenigen“, die unbedingt dort wohnen wollen, wo man eigentlich nicht leben kann? Die Frage blieb von dem Anti-Philosopen Peter Sloterdijk am Montag im TiK unbeantwortet. Doch war dies auch nicht das eigentliche Anliegen des in München lebenden Wortakrobaten. Im Rahmen seines Vortrags „Die Stadt und ihr Gegenteil“ entwickelte er im Parforceritt die uralte Idee von der Stadt, ihrem athenischen Modell, von den Modernisierungsschüben durch die Jahrhunderte bis hin zum heutigen urbanen Phänomen, einer „doppelten Versammlung von Einwohnern und Deserteuren“. Sloterdijks akademisches Thema „sprengte“ allerdings, wie er selbst andeutete, den Rahmen des Faßbaren, viele Zuhörer verließen daher gereizt den Saal. Sloterdijk, der in Wien und Karlsruhe Philosophie lehrt, zitierte ohne mit der Wimper zu zucken, höchst komprimiert und mit unbändiger Lust an Bonmots, Philosophen, Denker und Literaten aus Antike und Moderne herbei, um den geistig-psychologischen Entwurf von Stadt zu zeigen. Pindar, Plato, Theokrit und Baudelaire, Nietzsche, Heidegger und Shakespeare kamen zu Ehren.

So war Sloterdijk denn nach seiner „Lesung“ auch nicht in der rechten Laune, mit dem Moderator Theo Roos - „Kann in Europas Städten so etwas ablaufen wie in Los Angeles?“ - ein konstruktives Gespräch zu führen. Ausgepumpt wie seine Zuhörer, räumte er selbstkritisch ein, daß der Vortrag überbordenden Charakter habe. Zudem ließ er die Thematik „das Fremde“ unberücksichtigt. Schade, denn das hätte vielleicht den Bezug zur der von Kulturbehörde und Literaturhaus veranstalteten Reihe „Perspektiven metropolitaner Kultur“ hergestellt und auf eine diskussionsfähige Ebene gehoben. Dann wären wohl auch die hochinteressanten Gedanken von Sloterdijks letzten Büchern Im selben Boot und Weltfremdheit zur Sprache gekommen, in denen er sich mit der unaufhaltsamen Dynamik menschlicher „Insulierung“ beschäftigt. Egozentriertes, kleinkariert-privates Denken macht, trotz aller Bemühungen, die Welt nicht kleiner. Trennende Idyllen münden in apolitischem Handeln und beschleunigen den Verlust der „Kunst des Zusammengehörens“, auch schlicht Demokratie genannt. Fazit der Philosophiestunde: „Jeder Dollar ist eine Anzahlung an die letzte Idylle.“

Dierk Jensen