■ Normalzeit
: Die Geschichte rund machen

Für journalistisch Selbständige waren die Feiertage zwischen Tu- Buß'-Samstag und Geh-Bet'-Mittwoch wieder mit „Top events“ (Rudolf Augstein) nur so vollgestopft. Da war einmal die große Ikea-Einweihung in Waltersdorf (verpaßt!), dann eine bilaterale Brigadefeier des ABM-Projekts Netzwerk Wissenschaft (mit Couscous-Essen und Ordensverleihung) sowie ein äußerst geselliges Beisammensein abgewickelter Soziologen der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (das waren die, die bei der Kundgebung am 4.11. 1989 noch ganz vorne standen!).

Highlight dürfte jedoch eine Journalisten-Diskussion gewesen sein, die in der Schweinemensa der FU stattfand und vornehmlich von US-amerikanischen Schnellschreibern diskursiv bestritten wurde. Einige hatten zuvor mit Programmachern des von US-amerikanischen Investoren aufgebauten TV-Low-Budget- Senders „IA Brandenburg“ palavert. Hier wie dort ging es um den nach dem „new journalism“ nun noch neueren „involved journalism“, der – kurz gesagt – darin besteht, wieder an die alte „Marginal Man“-Theorie der Chicagoer Schule um Ezra Park anzuknüpfen. Laut Park ist der „M.M.“ ein Mensch, der sich im Grenzbereich zweier Kulturen aufhält. Dieses „Leben in der Schwebe“ führt zwar zunächst zu einer psychischen Krise, in der das Gefühl der Desorientiertheit überwiegt, aber die Ver- und Bearbeitung dieser Losgelöstheit eröffnet dem „M.M.“ dann Möglichkeiten, die dem Verwurzelten verschlossen bleiben.

Dazu wurde ein von Konstantin Paustowski immer wieder gerne erzähltes Beispiel erwähnt, noch aus der Zeit, als dieser Redakteur des Odessaer Roten Matrosen war, einer Zeitung, die in nahezu allen Sprachen der Welt erschien, sofern ihre Sprecher zur See fuhren (also nicht in Schwyzerdütsch z.B.). In den zwanziger Jahren war dort – als Redaktionsbote – ein Pyromane angestellt, der es bis zum allseits geschätzten Brand-Reporter brachte. Neider munkelten später, an so mancher brandheißen Nachricht sei er nicht ganz unbeteiligt gewesen. Wie auch immer, „involvierter Journalismus“ jedenfalls greift ein, engagiert sich, produziert das Ereignis mit, publiziert primär strategisch, wird Teil der vom Ereignis ausgelösten Bewegung, berichtet über sich, wenn er über andere schreibt und vice universa...

„Das ist doch die gute alte Parteilichkeit“, unterbrachen einige alte Ost-Hasen. Ja aber, erwiderten die jungen HipHop-Hasenfüße aus Hemingways Heimat, es geht dabei nicht mehr an der Linie einer Theorie oder Utopie entlang, sondern ganz simpel um Einschaltquoten (Hä!). Die Ostler gaben sich längst nicht geschlagen: „Das ist doch dasselbe!“ Wie bitte? „Ja, die 100prozentige Einschaltquote, das ist nichts anderes als das endlich erreichte Endstadium der Geschichte: Kommunismus – jedenfalls für die Meinungsmacher.“ Helmut Höge

Wird fortgesetzt