■ Immer mehr Frauen drängt es an den Zockertisch: „Ich hab' das alles im Griff!“
Berlin (taz) – „Das gibt's doch nicht!“ Hektisch schlägt eine Frau in Birkenstock-Schuhen auf drei bunte Tasten. Und dann gleich noch mal. „Spielen macht Spaß“, suggeriert ihr der blinkende Kasten unmißverständlich. Dafür gibt's einen Tritt. Und dann ein neues Fünfmarkstück. Nach einer Stunde ist der Becher mit den Münzen leer. Ihr Gesichtsausdruck irgendwie auch. „Muß mich mal wieder sperren lassen“, murmelt sie. Die 33jährige Krankenschwester aus Berlin ist Gewohnheitsspielerin.
Ob Automatenhalle, Roulette oder Kartentisch, immer mehr Frauen steigen ins Glücksspiel ein. Rund 160.000 abhängige Spieler wurden in der alten Bundesrepublik gezählt. Fast alles Männer. Doch das hat sich längst geändert. In wenigen Jahren ist der Frauenanteil der Zocker auf 20 Prozent hochgeschnellt. Spitzenreiter: die neuen Bundesländer. „Die Zahl der Spielerinnen wächst enorm – vor allem in den Casinos“, bemerkte Professor Iver Hand von der Uni-Klinik Hamburg. Er leitet Deutschlands größtes Therapiezentrum für Leute mit krankhaftem Spielverhalten. „Sucht“ will er das Phänomen nicht nennen, „denn Glücksspiel führt nicht immer zum körperlichen oder seelischen Absturz“ des Spielenden.
Gerade bei Rentnerinnen ersetzt Spielen oft fehlende Sozialkontakte. In der diskreten Atmosphäre des Casinos fühlen sie sich auch alleine wohl. „Ich setze immer nur ein paar Mark, dann kann ich länger bleiben“, sagt eine 70jährige Roulette-Oma aus Spandau. Seit über 50 Jahren spielt sie nun schon, gewonnen hat sie jedoch nie viel. Ihr himmelblaues Samtkleid hat schon bessere Tage gesehen, und der knallrote Lippenstift hat eindeutig sein Ziel verfehlt. Aber Dabeisein ist schließlich alles.
Andere sind da ehrgeiziger. Eine elegante Architektin hat in zwei Stunden knapp 700 Mark verloren. „Im Monat kommen da schon mal 5.000 Mark zusammen. „Ich hab' das alles im Griff“, versichert sie immer wieder, „süchtig könnte ich nie werden.“ Solche Aussagen sind typisch, sagen Beratungsstellen. Viele Spielerinnen begreifen lange nicht, daß sie nicht mehr freiwillig dabei sind. „Der Leidensdruck muß riesengroß werden, bevor sie sich trauen, darüber zu reden“, erklärt Renate Fricke von der Caritas-Suchtberatung. Eheprobleme, Einsamkeit und Depressionen wollen die meisten lieber verdrängen. „Die kommem hierher mit einer Schachtel ungeöffneter Rechnungen“, erzählt der Leiter der Kreuzberger Schuldnerberatung. Doch mit Spielerinnen gibt er sich gar nicht erst ab: „Entschuldung aussichtslos.“ Weitergeschickt werden sie auch von den Krankenkassen. Denn, so die AOK Berlin, „eine Krankheit oder Behandlungsbedürftigkeit liegt zweifellos nicht vor.“
Wer sich einmal ins Aus gekickt hat, dem bleibt, wie sollte es auch anders sein, oft nur der Weg in die Illegalität. Eine langjährige Spielerin bekennt: „Als das mit den Krediten nicht mehr weiterging, habe ich mir alles, was ich so brauchte, über Versandhäuser besorgt. Am Schluß kam dann der Scheckbetrug.“
In Selbsthilfegruppen sind Spielerinnen noch immer seltene Gäste. Und jahrelangen „Entzug“ halten viele nicht durch. Glücksspielberater Rainer Düffort führt das auf „massive Defizite und Störungen im sozialen Umfeld“ zurück. Und auf die gesellschaftliche Verachtung, der Spielerinnen auch in seinen Therapiegruppen ausgesetzt sind. Einer, der selbst jeden Tag in die Spielhölle am Alex kommt, bringt die Sache auf den Punkt: „Als Frauen kannste die vergessen, die sind ausgebrannt.“ Seine Freundin steht daneben und haut in die Tasten: „Der will mir doch nur wieder allet vermiesen.“ Constanze v. Bullion
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