Schlapphut Wolf rechnet mit seiner exemplarischen Verurteilung

■ Schlußwort des Ex-Geheimdienstchefs Markus Wolf / Verteidiger beantragen die Aussetzung des Verfahrens

Düsseldorf (taz) – Über eines waren sich der Angeklagte Markus Wolf und seine Verteidiger gestern, am vorletzten Prozeßtag im Düsseldorfer Oberlandesgericht, ganz sicher: Am 6. Dezember endet der Prozeß mit einer Verurteilung des langjährigen DDR-Spionagechefs. An diesem Tag, so Verteidiger Johann Schwenn, werde sein Mandant im Gerichtssaal verhaftet, aber „erscheinen wird er doch“. Tatsächlich lassen der gesamte Prozeßverlauf und die Art der Verhandlungsführung durch den Senatsvorsitzenden Klaus Wagner kaum Zweifel an dieser Prognose zu. Ganz gewiß wird das Gericht auch den neuerlichen Antrag der Verteidigung, das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulässigkeit der Anklage auszusetzen, ablehnen.

Schon zu Anfang des Verfahrens hatte das Gericht einen entsprechenden Antrag rundweg zurückgewiesen und sich damit von der Linie des Berliner Kammergerichts abgesetzt. Während das Berliner Gericht die Verfahren gegen die Mitarbeiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des früheren DDR-Staatssicherheitsministeriums für unvereinbar mit dem Gleichheitsgebot des Grundgesetzes hält, sind Klaus Wagner und der Bundesanwaltschaft, die in der vergangenen Woche eine Haftstrafe von 7 Jahren gefordert hatte, solche Zweifel völlig fremd. Für Markus Wolf hat der gesamte Prozeßverlauf bestätigt, daß es der Bundesanwaltschaft ausschließlich um die Inszenierung eines „exemplarischen Prozesses gegen den ,Unrechtsstaat‘ und einen seiner Hoheitsträger“ ging. Diese Absicht habe man dadurch zu vertuschen gesucht, indem man ihn nicht wegen seiner Gesamtverantwortung als Leiter der HVA angeklagt habe, sondern wegen konkreter Handlungen bei der Auftragsvergabe an 30 ehemalige Agenten.

Diese Strategie, die Wolf als den Versuch, „der politischen Abrechnung ein juristisches Mäntelchen umzuhängen“, geißelte, hatte zu der Vernehmung von zahlreichen verurteilten ehemaligen DDR- Spionen während der 42 Verhandlungstage geführt. Damit wollte die Bundesanwaltschaft Wolf als den „Täter hinter den Tätern“ überführen.

Daß das ganze Verfahren nur als ein politischer Prozeß der „Siegerjustiz“ einzuschätzten ist, suchte Wolfs Hamburger Anwalt Wolf Römmig gestern mit dem Gezerre um die Festschreibung der Straffreiheit für Mitarbeiter der Auslandsnachrichtendienste im Einigungsvertrag zu belegen. Letztendlich kam diese Amnestievorschrift aus politischen Gründen nicht zustande. „Schweren Herzens“, so schrieb der westliche Chefunterhändler und heutige Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Wolfgang Schäuble, später in seinem Buch „Der Vertrag“, habe er auf eine entsprechende Regelung verzichten müssen, weil es nicht gelungen sei, öffentlich die Auslandsaufklärung der DDR von den Stasi-Verbrechen in der DDR zu trennen. Dabei war Schäuble schon von der „Logik“ her klar, daß man im vereinten Deutschland nicht die HVA-Mitarbeiter würde strafrechtlich belangen können, wenn man gleichzeitig die umgekehrte Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes als nicht strafbar wertete. Doch das Gericht wollte weder Schäuble hören noch den ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, um von diesen ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers – ein Amnestiegesetz lag 1990 schon vor – auch nur zu erfahren. Alle entsprechenden Anträge wurden abgelehnt.

Was der BND tatsächlich betrieben hat, durfte im Gerichtssaal nicht behandelt werden. Weil alle entsprechenden Beweisanträge abgelehnt wurden, sei es der Verteidigung nicht gelungen, dieses Dunkelfeld aufzuhellen und die Erpressungen und Verführungen durch westliche Dienste vorzuführen, sagte Verteidiger Schwenn in seinem Plädoyer. Anschließend habe die Bundesanwaltschaft der Verteidigung dann vorgehalten, keine Beweise für die BND-Methoden vorgelegt zu haben. Diese „Verhöhnung“ passe zu dem gesamten Prozeßverlauf, der von einem „paranoiden“ Verfolgungsdrang der Bundesanwaltschaft geprägt sei. Schwenn wörtlich: „Das Strafmaß kann das Absurde dieser Verfolgung nur deutlich machen, je höher, um so mehr.“

Nach dem Prozeß steht für Markus Wolf fest, daß „ich hier verurteilt werden soll, weil es vierzig Jahre die DDR gegeben hat, die es im politischen und Rechtsverständnis der Urheber solcher Veranstaltungen nie hätte geben dürfen“. Aber er bekenne sich weiter zu seiner Beteiligung an „diesem sozialistischen Versuch auf deutschem Boden“. Angeklagt sei er letztlich auch, „weil ich nach seinem Scheitern nicht bereit war, vor den Siegern zu Kreuze zu kriechen“. Man habe bei diesem Versuch geirrt und „vieles falsch gemacht“, aber an den Werten, „mit denen wir die Welt verändern wollten“, halte er weiter fest. Weil die Bundesanwaltschaft sein Schweigen als nicht ehrenwert bezeichnet hatte, verwies Wolf auf Karl Liebknecht. Der hatte seinen Anklägern auf vergleichbare Anwürfe so geantwortet: „Ihre Ehre ist nicht meine Ehre.“ Dieser Schlußsatz wurde gestern mit Beifall aufgenommen. Walter Jacobs