Die Hoffnung ist ein stinkender Hering

■ Surrealistisch-poetisch: „Bertha“ vom Theater Leutstetten auf Kampnagel

„Ich habe Angst“, sagt die junge Frau neben der Telefonzelle. „Herzlich Willkommen“, sagt Bertha.

Erstes Bild: Ein Mann steht gefesselt vor einer Telefonzelle. Auftritt Bertha. Sie bindet ihn los und leckt völlig unvermittelt seinen Bauch. Als Fremde, die sich nicht einmal besonders mögen, beginnen sie ein Gespräch wie alte Freunde. Bertha zieht ein Messer und sticht auf ihn ein.

Zweites Bild: Ein junger Mann telefoniert mit der entfernten Geliebten. Vor der Telefonzelle verblutet ein Mann.

Drittes Bild: Der junge Mann wartet auf einen Anruf der entfernten Geliebten. Bertha räkelt sich im Sand. Sie zieht ihn zu sich. Das Telefon klingelt. Er kann nicht mehr sprechen.

„Eine Komödie“ nennt das Theater Leutstetten seine jüngste Produktion und hat recht; ist doch nichts komischer als der liebevoll in seiner Hilflosigkeit gezeichnete Mensch. Dabei ist es gar nicht die Angst, die die Figuren auf der Bühne verbindet - es ist die Hoffnung. Aber die Hoffnung ist ein stinkender Hering. „Verwechseln Sie nicht Ihren verstopften Darm mit Ihren verstopften Gefühlen“, schnauzt der Herr aus dem ersten Bild kalt den jungen Verliebten an. Die Hoffnung aber trägt einen Namen und auch der alte Zyniker wird ihr komplett verfallen: Bertha. Bertha ist die Andere, die Unabhängige, die verwirrt und Sehnsucht erzeugt. Bertha ist der Ausweg und Bertha ist, selbstverständlich, eine Sackgasse.

Das 1990 gegründete Hamburger Theater Leutstetten stellt mit Bertha seine 5. Produktion auf Kampnagel vor; nach Inmitten all dieser schönen Zeit ist dies das zweite Stück, das nicht auf einer literarischen Vorlage beruht. Regisseur Thomas Matschoß hat die poetisch-surreale Komödie mit den Schauspielern Ingrit Dohse und Harald Maack gemeinsam entwickelt, und diese Dichte ist permanent zu spüren. Es ist kein schnelles, aber doch ein bewegtes Spiel, das nur Ausschnitte zeigt und trotzdem eine Geschichte mit Bogen erzählt. Während der Anfang noch als eine Reihung abstruser Begegnungen erscheint, entwickelt sich bald ein diffiziles Geflecht der Beziehungen, in dem die Rollen immer wieder getauscht werden. Gerade das Absurde gibt dem Geschehen Halt - nachlassen tut die Inszenierung da, wo sie erklären will.

Lichtstimmungen und Schattenspiel beherrschen die Bühne von Leonie Sens, die nichts außer einer Telefonzelle im Sand zeigt. Ihre beruhigende Leere und die Abwesenheit von Requisiten stellen das konzentrierte Spiel in den Vordergrund. In dieser Einfachheit und Eindringlichkeit gehört das Theater Leutstetten zum intelligentesten und überzeugendsten, was Hamburgs Freie Szene derzeit zu bieten hat. nnnnnnnnnnnn

Christiane Kühl