Talk-Radio: N-Joy contra OK

■ NDR-Hörfunkdirektor Gernot Romann und OK-Radio-Chef Frank Otto im taz-Streitgespräch über das fünfte NDR-Programm „N-Joy-Radio“ und die Zukunft von öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Sendern

taz : Herr Otto, wenn sie sich das N-Joy-Radio-Konzept ansehen, wird das eine OK-Radio-Kopie?

Otto: Soweit ich es kenne, ja. Das geht bis in die Details. Morgensendungen mit einem Team oder das Musikprogramm. Da gibt es reichlich Parallelen. Schließlich gab's ja auch mal ein taz-Interview, in dem das fünfte NDR als öffentlich-rechtliche Antwort auf OK-Radio bezeichnet wurde. Von daher fühle ich mich schon ein wenig als Vater des Gedankens NDR-Jugendradio.

Romann: Sie werden verstehen, daß es mir schwerfällt, in Herrn Otto den Vater zu sehen, und er ist natürlich auch nicht der Vater von N-Joy Radio. Wir bestreiten ja gar nicht, daß das NDR-Jugendradio eine Reaktion auf die kommerzielle Konkurrenz ist. Aber es wird mit Sicherheit keine Kopie sein. Wir werden uns von OK-Radio deutlich unterscheiden im Bereich des Wortes und in der Qualität der Berichterstattung. Alles andere würde keinen Sinn machen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Erfolges. Warum sollte man die Kopie hören, wenn man das Original hat?

„Seit Woodstock ist bekannt, daß es eine Jugendkultur gibt.“

Otto: Dann frage ich mich, warum der NDR erst über ein Jugendradio nachgedacht hat, nachdem es OK-Radio vorgemacht hatte. Es war doch allerspätestens seit Woodstock bekannt, daß es eine eigenständige Jugendkultur gibt. Das hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk nie zur Kenntnis genommen.

Romann: Deswegen haben wir – obwohl NDR 2 immer noch viele junge Hörer hat – in dieser Zielgruppe auch einen Nachholbedarf. Was mich an der Debatte über das Jugendradio stört, ist die Scheinheiligkeit mancher Argumente. Erst hat man die Existenz des dualen Systems begründet mit einem angeblichen Mangel an Vielfalt. Kaum gibt es Wettbewerb, ist Vielfalt offenbar nicht mehr erwünscht. Wir haben die Herausforderung angenommen, und das paßt der Konkurrenz und den Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht.

Otto: Das erkenne ich eben nicht, daß der NDR die Herausforderung annimmt. Wie kann es denn angehen, daß ein so populäres, eingeführtes Programm wie NDR 2 sich von Radio Hamburg überholen lassen muß. Und es den Kollegen von Radio Hamburg dabei sogar noch gelingt, auch junge Hörer zu binden?

Romann: Das ist in diesem Jahr zum ersten Mal geschehen – bei anderen Untersuchungen liegt übrigens NDR 2 vorn – und es hat auch klare Gründe. Radio Hamburg hat nach einem Zwischentief wieder aufgeholt, und ich kann Ihnen auch sagen, warum. Radio Hamburg hatte zunächst den Anspruch, auch als Massenprogramm attraktive Information anzubieten. Sie haben ihren Informationsanteil ausgebaut und sind prompt auf die Nase gefallen. Jetzt haben sie die Information deutlich reduziert und haben damit Erfolg. Wir haben auf NDR 2 eben noch diese massiven Wortangebote und sind jetzt erst dabei, das Programm – unter Beachtung der Informationsqualität – zu reformieren.

Otto: Die Wortsendungen von NDR 2 haben doch gute Einschaltquoten.

Romann: Das stimmt, aber das zahlt sich nicht aus, wenn Reichweiten und Hördauer ermittelt werden. Für NDR 2 gibt es präzise Vorgaben: Mehrheiten bedienen und Werbung verkaufen. Will man diese Programmziele erreichen, nützt es wenig, wenn 80.000 Hörer gezielt den Mittagskurier einschalten, Hörer, die weder vorher da sind noch hinterher dabeibleiben. Um die nicht befriedigende Hördauer zu verbessern, muß es uns gelingen, Mehrheiten über den Tag hinweg an NDR 2 zu binden.

taz : Neues Jugendprogramm, NDR 2 auf der Suche nach neuen Mehrheiten: Bekommen die Privaten, bekommt OK-Radio jetzt Muffensausen?

Otto: Nein, ärgerlich ist für uns private Anbieter aber die ungleichgewichtige Frequenzausstattung im dualen Rundfunksystem. Nur dadurch ist das fünfte Programm des NDR doch überhaupt möglich.

Romann: Das ist doch gar nicht wahr. Sie müssen die Kommerziellen zusammenzählen. Sie können nicht ignorieren, daß im Norden ein kommerzieller Sender nach dem anderen zugelassen wird. Für jeden Neuen werden Frequenzen gefunden. In Norddeutschland haben die Privaten in der Summe mehr Frequenzen als der NDR. Das ist doch keine Frage. Das ist Adam Riese.

Otto: Das empfinden Sie so. Wenn ich mir die Listen mit den Frequenzen ansehe, sehe ich wesentlich mehr öffentlich-rechtliche.

taz : Hört sich doch ein bißchen nach Muffensausen an.

Otto: Nein, sicher nicht. Ich wünsche dem NDR mit N-Joy viel Erfolg, aber nur, wenn es denn auch wirklich so ein anderes Programm wird, wie es angekündigt wird. Eben keine Kopie von OK.

taz: Otto ist nicht der einzige, der Zweifel daran hat, daß N-Joy-Radio wirklich das „intelligente Kopfradio“ wird, als das es angekündigt wurde.

Romann: Geben Sie uns doch erst mal die Chance, zu beweisen, daß wir senden, was wir sagen. „Intelligentes Kopfradio“ ist für mich ein Begriff, der genau das wiedergibt, was wir mit dem neuen Programm vorhaben. Eben kein Programm, in dem jedes Wort mit Musik unterlegt ist. Ein Programm, in dem Wort einen eigenen Stellenwert hat. Das ist riskant. Aber wir haben den Ehrgeiz, für ein sehr junges Publikum ein journalistisch anständiges Programm zu machen.

Otto: Der Begriff „intelligentes Kopfradio“ ist doch ähnlich wie der Begriff „Flachfunk“ ein Propagandawort. Ich glaube nicht an ein Kopfradio. Das Medium Radio ist das emotionalste Medium, das man sich vorstellen kann. Jede Zeitung verlangt Kopfarbeit, jedes Fernsehprogramm verlangt eine intensivere Beschäftigung mit dem Medium. Das Radio kann nebenbei laufen, und entweder es gefällt einem, oder man hört nicht richtig hin. Man vergewaltigt das Radio mit einem Begriff wie Kopfradio, weil man dann versucht, aus dem Radio etwas zu machen, was das Radio gar nicht leisten kann.

„Die Zukunft des Radios besteht nicht im Abspielen von Hintergrundgeräuschen“

Romann: Das, was wir im Augenblick haben, Radio als Begleitmedium für ein Massenpublikum, das könnte ja auch eine vorübergehende Erscheinung sein. Radio hat ganz andere Zeiten erlebt, denken Sie nur an die NDR-Tradition, an Hörspielautoren wie Peter Bamm, aber auch an Radio-Entertainer wie Peter Frankenfeld.

Ich glaube nicht, daß die Zukunft des Radios im Abspielen von Hintergrundgeräuschen besteht, wie man sie in Warenhäusern antrifft oder auf Hoteltoiletten. Vielleicht gelingt es uns ja, mit attraktiveren Angeboten, Hörer wieder zum Zuhören bringen zu können.

Otto: Ich glaube auch an das Radio zum Zuhören. Zum Beispiel an Talk-Radio, das ja in Deutschland noch keiner macht, obwohl es auf eine Idee von Berthold Brecht zurückgeht...

Romann: Aber doch nicht das Talk-Radio, wie es OK-Radio jetzt gelegentlich sendet?

taz : Haßkappen-Radio am heiligen Sonntag.

„Talk-Radio kann auch mal Obszönitäten und Haß abladen.“

Otto: Auch das gehört für mich dazu. Für mich hat Talk-Radio ein breites Spektrum. Das kann Beratung sein, das kann politische Diskussion sein. Das kann aber auch Haß abladen sein...

Romann: ...auch Obszönitäten?

Otto: Warum nicht? Ja.

Romann: Also, wenn man Vielfalt so definiert...

Otto: Ich glaube, daß Radio das Lebensgefühl der Menschen ausdrückt. Und deshalb die Menschen auch so reflektieren sollte, wie sie sind. Unzensiert. Daß es da Grenzen des guten Geschmacks gibt, ist unbestritten.

Romann:Halten Sie es für möglich, daß OK-Radio diese Grenze gelegentlich überschritten hat?

Otto: Wir haben diese Sendung auch schon mal abgesetzt und, sagen wir, Denkpausen eingelegt.

taz : OK-Radio hat früher mit Sendungen wie „Schlag sechs“ ein wesentlich wortorientierteres Programm gemacht. Dann haben sie, vorsichtig formuliert, auf musikorientierten Jugendfunk umgestellt. Woran ist das alte Wort-Konzept gescheitert?

Otto: Ich würde gar nicht sagen, daß das richtig gescheitert ist. Wir hatten mit dem Magazin „Schlag sechs“ zunächst durchaus Erfolg. Das lag auch daran, daß es interessante Themen wie den Golfkrieg oder die deutsche Vereinigung gab. Als die Themen weniger interessant wurden, gingen die Einschaltquoten in diesem Bereich runter. Dann war „Schlag sechs“ nicht mehr haltbar und wir haben unsere journalistischen Leistungen mehr über den Tag verteilt.

taz : Kann der NDR mit einem wortorientierten Jugendprogramm erfolgreicher sein als OK-Radio damals?

Otto: Ja, wenn er seine Vorteile richtig nutzt. Dem NDR wird nun mal eine journalistische Kompetenz zugesprochen, die man uns nicht zubilligt. Das ist für uns ein harter Kampf. Wenn alle immer vom Flachfunk reden, ist das nicht immer ganz einfach. Das ist ein, für mich nicht immer gerechtfertigtes, Image-Problem.

Romann: Ich halte das Geschwätz vom „Flachfunk“– ob auf Öffentlich-rechtliche oder Kommerzielle angewendet – für töricht. Das ist doch eine Totschlag-Vokabel. Was soll schlecht daran sein, wenn die meisten Menschen Programme mit viel angenehmer Musik und bündiger Information bevorzugen?

Die Tatsache, daß ein Programm wenig Hörer hat, ist noch kein Nachweis von Qualität. Und es ist auch nicht der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, möglichst wenig Hörer zu haben. Das ist ihm streckenweise gelungen, aber es ist nicht sein Auftrag.

taz : Also, vorsichtiger Rückzug aus den Minderheitenprogrammen als Zukunftstrend?

Romann: Nein, wir werden weiterhin Mehrheiten und Minderheiten versorgen. Wir werden der Konkurrenz und den Gegnern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aber nicht den Gefallen tun, uns in Nischen abdrängen zu lassen und Mehrheiten zu vernachlässigen. Aber wir nehmen auch unseren Auftrag ernst, daß wir Minderheiten zu versorgen haben. Und das geschieht in unserem dritten und vierten Programm. Was nicht heißen soll, daß sich dort nichts bewegen wird.

Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, daß NDR 4 sich immer mehr zu einer Info-Welle entwickelt, in der auch mal ein politisches Essay Platz findet. Dazu Musik, die die Hörer nicht gleich wieder vertreibt. Dadurch wird NDR 4 kein Massenprogramm, aber wir werden uns – siehe USA – ohnehin daran gewöhnen müssen, mit geringeren Reichweiten zu leben.

taz : Inforadio als neue öffentlich-rechtliche Nische. Gibt es Vergleichbares für den Privatradiomarkt der Zukunft?

Otto: Je enger der Markt wird, desto attraktiver werden solche Nischen. Zum Beispiel für ein sanfteres, leichteres, auf Frauen orientiertes Programm. Was Genießerisches, nicht so krawallig, das wäre eine Lücke, die erfolgversprechend sein könnte.

Für die taz talkte Uli Exner