■ Press-Schlag
: Die ungleichen Brüder

Justin und John Fashanu sind ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Brüderpaar. Sie stammen aus einer Mittelklassefamilie in East Anglia, sind schwarz, gebildet, eloquent, vielseitig interessiert, und beide sind exzellente Fußballer. Damit hören die Gemeinsamkeiten allerdings auch schon auf. Oder wie es der 31jährige Justin ausdrückt: „Wir sind wie Kreide und Käse.“

Justin geht gern in Oper und Konzerte, diniert mit Abgeordneten der Konservativen Partei, rief letztes Jahr im Guardian dazu auf, die Tories zu wählen, und trat vor einigen Jahren den „Wiedergeborenen Christen“ bei. Sein jüngerer Bruder John, dynamischer Stürmer des FC Wimbledon, ist eher radikal, präsentiert im Fernsehen eine Show namens „Gladiators“ und pflegt Kontakt zu schwarzen Politikern. „John hält mehr von Nelson Mandela und diesem ganzen Quatsch“, sagt Justin, „ich habe damit nicht viel am Hut, weil es nicht in mir drin ist. Aber wir lieben uns trotzdem.“

Eine Zeit lang war das keineswegs der Fall. Vor drei Jahren entfachte nicht der rebellische John, sondern der distinguierte Justin einen Skandal, der weit über den englischen Fußball hinauswirkte. Als erster britischer Sportler sprach er öffentlich von seiner Homosexualität und tat nebenbei kund, daß er keineswegs ein Einzelfall sei. Geschäftstüchtig wie er ist, hatte er seine Story an das Schmierblatt Sun verkauft, das die Sache mit allerlei erfundenen Geschichten über verführte Parlamentsmitglieder aufmotzte. Schwule im Fußball, bis dahin ein Tabuthema, standen plötzlich auf der Tagesordnung.

Bis dahin hatten britische Athleten eher durch schwulenfeindliche Aktionen von sich reden gemacht, so wie Zehnkämpfer Daley Thompson, der in der Absicht, sich über Carl Lewis lustigzumachen, den Spruch „Greatest athlet of the world, who is not gay“ auf sein Hemd druckte. „Das Vokabular im Sport ist nicht nur homophobisch“, konstatierte der schwule Goldmedaillen-Schwimmer von 1984, Bruce Hayes aus den USA, „es ist nahe am gay-bashing.“ Gerade im Fußball werden von vielen englischen und amerikanischen Trainern entsprechende Ausdrücke benutzt, um Spieler zu beschimpfen oder lächerlich zu machen.

Auch in Deutschland wurde der Fall Fashanu diskutiert, und die Fußballprofis bekleckerten sich nicht gerade mit Ruhm, als sie zu ihrer Meinung befragt wurden. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Fußball spielen können“, sagte markig der Kölner Paul Steiner, andere äußerten, sie würden gegen „so einen“ aus Angst vor Aids nicht spielen. Uwe Bein sagte bezüglich der Anzahl homosexueller Fußballer in der Bundesliga, er halte „alles für möglich“, Torwart Jörg Schmadtke, inzwischen in Freiburg, bemerkte: „Die Feindseligkeiten gegen Farbige sind schon schlimm. Wenn einer zugibt, daß er schwul ist, bekommt er noch mehr Probleme.“

Davon kann Justin Fashanu ein Lied singen. Nach seinem Self-Outing bekam er in England kein Bein mehr auf die Erde, kein Verein wollte ihn haben, langjährige Freunde weigerten sich gar, mit ihm zu sprechen. Unter anderen sein Bruder, der aus Sorge um seine eigene Karriere versucht hatte, Justin davon abzubringen, seine Homosexualität ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. „Er hat mir mehr Geld geboten als die Sun, damit ich den Mund halte, aber es war etwas , das ich tun mußte“, erinnert sich Justin.

Mehrfach habe er damals an Selbstmord gedacht, „aber ich war dafür ein zu großer Feigling“. Fashanu bekam ein Angebot aus Kanada, spielte dort für ein Jahr, kam dann zurück und war in einem kleinen Provinzklub aktiv, bis ihn zu Beginn der laufenden Saison ausgerechnet die Hearts of Midlothian aus Edinburgh verpflichteten. Die Fans der „Hearts“ gelten als die rassistischsten in Großbritannien, Justin Fashanu ist der erste schwarze Fußballer überhaupt, der in diesem Klub spielt. Mit seinen guten Leistungen auf dem Platz brachte er die anfänglichen Feindseligkeiten jedoch schnell zum Verstummen. „Ich kriege immer noch mein Fett ab“, erzählte er dem Observer, „aber hier beurteilen sie mich nach meinen fußballerischen Fähigkeiten.“

Kaum heimgekehrt, machte auch sein Privatleben schon wieder Schlagzeilen. Seine Liaison mit einer Schauspielerin aus der populären Serie „Coronation Street“, dem Vorbild der „Lindenstraße“, verblüffte die Leute, die sich gerade an seine Homosexualität gewöhnt hatten. Lapidarer Kommentar von John Fashanu: „Man muß sich seine Optionen offenhalten.“ Matti Lieske