■ Israelische Soldaten töteten den Militärchef der Hamas
: Offene Rechnungen auf beiden Seiten

„Frieden macht man nicht mit seinen Freunden, sondern mit seinen Feinden“, hatte der israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin seinen Bürgern verkündet, bevor er am 13. September in Washington PLO- Chef Jassir Arafat mit gequälter Miene die Hand schüttelte. Die gestrigen Ereignisse im Gaza-Streifen machen erneut deutlich, daß er nur ausgesuchte Feinde meinte. Israelische Soldaten töteten zwei Mitglieder der islamistischen Hamas-Bewegung, darunter den lange gesuchten Chef des militanten Arms der Organisation, Imad Akal. Rabin begrüßte dessen Tod ausdrücklich als „großen Erfolg“ der israelischen Soldaten und drohte, das gleiche Schicksal erwarte alle Mörder. Akal wurde für den Tod von elf israelischen Soldaten, einem israelischen Zivilisten und vier Palästinensern – angeblichen Kollaborateuren – verantwortlich gemacht. Aus seiner Absicht, die israelischen Besatzer mit der Waffe zu vertreiben, hatte der 24jährige, der für Fotografen martialisch mit dem Revolver in der Hand posierte, nie einen Hehl gemacht – ein echter Feind der Israelis eben.

Mehrfach hat die PLO-Führung die israelische Regierung in den letzten zwei Monaten aufgefordert, die Jagd auf Palästinenser vorerst einzustellen. Die Regierung Rabin beharrt jedoch darauf, gleichzeitig mit palästinensischen Delegationen zu verhandeln und in den besetzten Gebieten Palästinenser zu erschießen. Seit dem 13. September starben im Gaza-Streifen und in der Westbank 21 Menschen durch israelische Kugeln. Von dem erhofften Frieden ist in Ramallah, Nablus oder Gaza keine Spur zu sehen. Die Folgen zeigten sich am Mittwoch bei den Wahlen an der Universität von Bir-Zeit. Eine gemeinsame Liste von Hamas, DFLP und PFLP – also jenen Gruppen, die das „Gaza-Jericho-Abkommen“ ablehnen – verdrängte nach acht Jahren die Fatah Jassir Arafats und die mit ihr verbündeten Gruppen aus dem Studentenrat. Die Programme der beiden rivalisierenden Listen unterschieden sich wesentlich nur in einem Punkt: der Zustimmung oder Ablehnung des „Gaza-Jericho-Abkommens“. Der geschlagene Fatah-Kandidat mußte eingestehen, die Schlappe sei ausschließlich der Unzufriedenheit der Studenten mit dem Fortgang der Friedensverhandlungen zu verdanken. In Bir-Zeit haben sich in den letzten zwei Monaten einfach keinerlei Veränderungen bemerkbar gemacht.

Ende September hatten Umfragen arabischer Zeitungen in den besetzten Gebieten rund sechzig Prozent Zustimmung für das „Gaza-Jericho-Abkommen“ festgestellt. Im Gaza-Streifen, der Hochburg der islamischen Fundamentalisten, begrüßten gar über siebzig Prozent der Bewohner den Plan für eine Teilautonomie, und so manches Hamas-Mitglied bekundete hinter vorgehaltener Hand seine Zustimmung zum Abkommen. Doch angesichts der andauernden Unterdrückung hat sich die Stimmung nach und nach gewandelt. Das Wahlergebnis von Bir-Zeit – die größte Universität der besetzten Gebiete gilt als Stimmungsbarometer der palästinensischen Gemütslage – bestätigt den Umschwung.

Der Haß israelischer Militärs und Politiker auf Feinde vom Schlage Akals und der Wunsch, sie für Morde zur Rechenschaft zu ziehen, sind nachvollziehbar. Jedoch haben spätestens die Enthüllungen des ehemaligen „Terrorismusberaters“ von Golda Meir, wonach Mossad Agenten gezielt und auf höchsten Befehl PLO-Funktionäre ermordet haben, gezeigt, daß auf beiden Seiten noch Rechnungen offen sind. Palästinenser können auf über tausend von Israelis getötete Intifada-Aktivisten verweisen. Solche Rechnungen jetzt zu begleichen hätte für den Friedensprozeß tödliche Folgen. Thomas Dreger